Glaube in winterlicher Zeit

Wochenimpuls Januar 2025-3

„Glaube in winterlicher Zeit“ ist nicht nur der Titel eines Buches über „Gespräche mit Karl Rahner aus den letzten Lebensjahren“[1]. Irgendwie hat der Glaube in unserer Zeit etwas mit der Jahreszeit des Winters zu tun: Einerseits scheint er kaum noch vorzukommen, ja, er scheint, so wie vieles in der Natur im Winter, abgestorben oder eingefroren zu sein. Doch die Ambivalenz ist kaum zu übersehen, denn erstens – so lehrt es uns die Erfahrung – kommt nach jedem Winter auch ein Frühling und dann auch der Sommer. Zweitens ist die scheinbare Winterstarre oft genug auch die Zeit des Kräftesammelns, des Schlafes, der Erholung und des Regenerierens. 

Überholt und irrelevant

Manch‘ einer mag die Situation der „Kirche in der Welt von heute“[2] pessimistisch deuten. Glaube scheint überholt zu sein, irrelevant. Übersehen sollte man allerdings dabei nicht, dass eine ehrliche Bestandsaufnahme immer – zumindest auch – unerlässlich ist für die „Öffnung des Herzens“[3]. So deute ich auch das vielleicht tiefsinnigste und bedeutendste Werk Reinhold Schneiders „Winter in Wien“[4]. Ich verschweige nicht, dass es sehr unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Reaktionen hervorrief: Für die einen war es „das frömmste Buch“[5] Schneiders, für andere war es Abfall, Resignation, Absturz.[6]

Versöhnter Abschied

In seinem Buch „Glaubensimpulse“[7] widmet Eugen Biser (1918 – 2014) Reinhold Schneiders „Winter in Wien“ einen Aufsatz unter dem Titel: „Versöhnter Abschied. Zum geistigen Vorgang in Schneiders ‚Winter in Wien‘“.[8] Es ist – bezeichnenderweise – Bisers letzter Aufsatz in dieser Sammlung. Das o. g. Zitat beschließt diese, so dass es wie ein Resümee aussieht, wie Bisers Fazit all seiner Überlegungen: 

„Heute besteht das Problem nicht mehr darin, dass keine Wunder geschehen, sondern dass niemand mehr danach Ausschau hält: „Immer schmaler wird die Tafel des Bräutigams, immer breiter werden die Tische, an denen niemand nach Wundern verlangt“ (74).

Das ist ohne Betonung, ja ohne einen bitteren Unterton gesagt. Ist das aber ein Grund, den verhaltenen Notschrei, der sich aus diesem Wort erhebt, zu überhören?“[9]

Für die heutige Glaubenssituation scheint mir dieses Werk des 1958, mit nicht einmal 55 Jahren viel zu früh heimgerufenen Reinhold Schneiders, nicht nur relevant zu sein. Ich halte es für notwendig im Sinne von die Not zu wenden. Denn die „Öffnung des Herzens“ scheint mir gerade heute unerlässlich zu sein für eine glaubwürdige Gestalt des Glaubens und des Gebetes. Nur so können wir etwas erfahren von der „Not und dem Segen des Gebetes“[10].


[1] Glaube in winterlicher Zeit – Gespräche mit Karl Rahner aus den letzten Lebensjahren“ – herausgegeben von Paul Imhof und Hubert Biallowons, Düsseldorf 1986

[2] Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ – Karl Rahner/Herbert Vorgrimler „Kleines Konzilskompendium, Freiburg-Basel-Wien 1967, S. 449 ff

[3] „Öffnung des Herzens“ ist das erste Kapitel von Rahners Long- und Bestseller „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ – Sämtliche Werke Karl Rahners (erscheinen im Herder Verlag Freiburg; abgekürzt SW) 7, S. 40 ff 

[4] Reinhold Schneider „Winter in Wien“, Freiburg-Basel- Wien 1958; Das Buch erlebte viele Auflagen, im Jahr 1982 erschien die 13.Auflage – Das Buch ist auch als Taschenbuch in der Herder-Bücherei erschienen. 

[5] So Klaus Hemmerle, der frühere Bischof von Aachen in „Widerruf oder Vollendung“ – Reinhold Schneiders „Winter in Wien“ in der Diskussion“, Freiburg-Basel-Wien 1981, S. 95

[6] Schneiders Freund und Kritiker, Hans Urs von Balthasar der ihm eine große Monografie gewidmet hat, scheint dieses Werk negativ, als „Absturz“ zu qualifizieren: „In meinem Werk <<Reinhold Schneider. Sein Weg und sein Werk>> (Hegner 1953) ist die Kurve bis zum dramatischen Höhepunkt gezeigt. Die dort gegebenen Analysen der großen Dramen (200f., 208 f) erscheinen mir heute noch gültig, sie werden im vorliegenden Aufsatz nicht zurückgenommen. Dass der Absturz des Werkes von dem Höhepunkt her möglich war, ist aus diesem wohl zu ersehen, dass er aber notwendig war, keineswegs.“ – So Balthasar in „Spiritus Creator“, Einsiedeln 1967, S. 415, Fußnote 1  

[7] Eugen Biser „Glaubensimpulse“ – Würzburg 1988

[8] Eugen Biser „Glaubensimpulse“ – Würzburg 1988, S. 381 ff – Es ist – bezeichnenderweise – Bisers letzter Aufsatz in dieser Sammlung. Und das o. g. Zitat beschließt diese. (400)

[9] Eugen Biser „Glaubensimpulse“ – Würzburg 1988, S. 400

[10] Karl Rahner „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ SW 7, S. 39 ff

Beitragsbild von armennano auf Pixabay

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