Wochenimpuls Januar 2025-2
Niemand hat das Recht
Heute Vormittag ging ich in die Stadt, um etwas zu besorgen. Dabei kam ich vorbei an einem Partei-Büro, dessen ‚Farbe‘ unschwer zu erraten war angesichts der vielen Plakate und der eindeutigen Forderungen, dass wir doch keine amerikanischen Raketen in unserem Land brauchen. Mir stellte sich die Frage, warum gerade so ausgewählt wurde, zumal in unmittelbarer Nachbarschaft, in der Ukraine, täglich russische Raketen Verwüstungen, Tod und Zerstörung anrichten. In der Tat: Wer braucht solche Waffen? Und sollte nicht zuallererst klar und unmissverständlich formuliert werden, dass niemand das Recht hat, mit Waffengewalt das Völkerrecht zu brechen, Grenzen zu verletzen und andere Länder und Völker zu unterdrücken?
Die alles bestimmende Wirklichkeit
Szenenwechsel: Da spricht ein gewählter amerikanischer Präsident davon, dass er nicht ausschließen könne, Gewalt gegen Schwächere anzuwenden, wenn man auf seine Bedingungen nicht eingeht. Da werden in großen Internetforen Hass und Hetze ungefiltert weitergegeben, Verschwörungsmythen wird buchstäblich ‚Tür und Tor geöffnet‘. Man muss kein Marxist sein, um klar zu sehen, dass – wenn alles zur Ware wird, wenn alles käuflich ist – Liebe, Treue, Wahrheit nichts mehr gelten. Denn – und das scheint mehrheitlich erlebbare Wirklichkeit, auch im Jahr 2025 zu sein – Konsum, Reichtum, Luxus und Macht die neuen ‚Götter‘ sind, denn sie sind die ‚alles bestimmende Wirklichkeit‘.
Apokalyptische Bilder
Erneuter Szenenwechsel: Apokalyptische Bilder der Feuersbrunst aus Kalifornien. Menschen verlieren alles, sämtliches Hab und Gut, einige ihr Leben, viele ihre Hoffnung und ihren Glauben an die Zukunft. Ich spreche mit einem netten Herrn aus der Nachbarschaft darüber, dessen Kommentar mich fassungslos zurücklässt: „Na, da trifft es endlich einmal die Richtigen. Die Reichen und die Schönen – was wissen die denn schon vom Leben? Jetzt spüren sie ‘mal, wie es im Leben wirklich zugeht.“ Mir blieb nur das eine Wort – das ich nicht aussprechen konnte-, und was ein Schauspieler voller Verzweiflung in‘ s Internet stellte: SPRACHLOS!
Hoch, zu hoch
Was bewahrt angesichts dieser Situation vor Fatalismus? Was könnte einen Perspektivwechsel ermöglichen? Verdrängung, Ignoranz oder Rationalisierung sicherlich nicht. Dann schon eher eine ungeschminkte Analyse:
„Der Preis, den zunehmend viele Menschen für unsere gottvergessene (Un-)Kultur zahlen, ist hoch; zu hoch sagen viele. Typisch für diese Zeit, die reich ist an Gütern, ist die Knappheit an Sinn. Die „noogene Neurose“ plagt viele, und dies in Ablösung der einst vorherrschenden sexuellen oder der Autoritätsneurosen. Wir haben viel, aber was soll das Ganze? Neue Werte werden gesucht, der Wertewandel wird beschworen. Aber der Ausweg aus der Sackgasse scheint nicht zu gelingen. Schon häufiger ist vielfältige Flucht, wobei der gemeinsame Nenner dieser Fluchtversuche darin besteht, dass das Bewusstsein gedämpft oder ganz getötet wird. Dazu eignen sich Alkohol, Drogen, Überkonsum von Fernsehen, die Flucht in die Krankheit, Kriminalität, das Untertauchen in geschlossene heile Welten (wie sektoide Gruppen) und im äußersten Fall in den Selbstmord.“ [1]
Mir hilft bei all dem, wenn buchstäblich ‚alles in Frage steht‘, ein Hinweis von Eugen Drewermann weiter. Denn wenn es um den Menschen als „individuelle Person“ geht -so Drewermann –
„beginnen all die Fragen, auf welche die Natur keine Antworten mehr hat.“[2]
Sehnsucht
Ja, die eigentlichen Fragen beginnen dann erst, die nach Sinn, nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit. Aber auch die Fragen nach dem Umgang mit Mutlosigkeit, mit Angst und mit Ohnmacht. Anschaulicher als in den Fernseh- Bildern aus Kalifornien in diesen Tagen geht‘ s kaum, wenn ich mir meine eigenen Gefühle eingestehe. Gerade angesichts dessen weiß ich aber auch, dass niemand auf Dauer leben kann ohne Hoffnung und jeder Aussicht auf Rettung. Religiös würde man von der Sehnsucht nach Erlösung sprechen.
Doch was ist mit all dem unendlichen, abgrundtiefen menschengemachten Leid, das uns tagtäglich die Luft zum Atmen nimmt angesichts der Bilder von Verstümmelung, Vergewaltigung, blindem Hass und zügelloser Wut, die sich ganzer Staatsapparate bedient, um sich auszutoben? Was sage ich mir, was sage ich all jenen, die am Verzweifeln sind und erst recht nicht glauben können an einen „Gott, der alles so herrlich regieret“? [3] Vielleicht ist es auch hier hilfreich, sich nichts vorzumachen und die ‚Alternative‘ zur Glaubensoption klar vor Augen zu führen:
„Man kann sich gegen alles das entscheiden, wovon sich Jesus überzeugt gab: dass unser Dasein in den Händen eines <<väterlichen>> Gottes ruhe, der möchte, dass wir sind, und der uns selbst im Tode nicht verlassen werde; – dann aber muss man sich für eine Welt entscheiden ohne Gnade, und man muss dann auch wissen, was man damit auf sich nimmt; oder man wählt für sich den Standpunkt Jesu, dann wird der Mann aus Nazareth zum Grund für eine Menschlichkeit, wie sie sonst nicht zu leben wäre, er wird zum letztgültigen Sprachrohr Gottes, er wird absolut. An Jesus glauben als den Christus, den <<Sohn Gottes>>, ist deshalb eine Aussage über den Glaubenden…“[4]
Allerdings:
„Die Frage bleibt, wie subjektiv reflex und ausdrücklich dieses Bekenntnis sich darbieten muss, um wahr zu sein. So wie es Leute gibt, die sich den Worten nach als Christen zu erkennen geben, obwohl in Wirklichkeit ihr Leben einem skandalösen Götzendienst gleichkommt, so wird es andere geben, die den Worten nach nicht sagen würden, dass sie Christen seien und die es doch entsprechend dem <<empirischen>> Kriterium in vollem Sinne sind. Wie viele gibt es, die wie selbstverständlich aushalten unter schwierigsten Bedingungen – an der Seite eines schwererkrankten Mannes, eines dement gewordenen Vaters, eines drogenabhängigen Sohnes? Sie fragen nicht lange nach Begründungen und Prinzipien, doch die Treue, die sie leben, hat etwas von Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter…“ [5]
Wenn allem Anfang ein Zauber innewohnt und ein Glaube, dann kommt er ganz bestimmt von all jenen Menschen, deren Leben etwas zeigt „von Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter…“
[1] Paul M. Zulehner „Das Gottesgerücht“ – Bausteine für eine Kirche der Zukunft, Düsseldorf 1988 (5. Auflage), S.42
[2] Eugen Drewermann „Wir glauben, weil wir lieben“, Ostfildern 2010, S. 162
[3] Aus dem Kirchenlied„Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ (Strophe 2) „Gotteslob“, Nr. 392
[4] Eugen Drewermann „Wendepunkte“, Ostfildern 2014, S. 229
[5] Eugen Drewermann „Wendepunkte“, Ostfildern 2014, S. 223 – 230
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