Werteorientierung, Aushandlungsprozess und Kompromiss

Oskar Lafontaine: Erwartung nicht erfüllt!

Bild zeigt einen Kupferstich, mit zwei Händen die einander gegeben werden (Händedruck).

Unlängst erschien in einer Zeitung ein längeres Interview mit Oskar Lafontaine. Ich wurde nicht nur enttäuscht. Dieser alte Mann lässt mich fassungslos zurück, denn eigentlich hatte ich erwartet, dass Oskar Lafontaine mit seinen 81 Jahren etwas mehr Lebensweisheit versprüht. Doch er bleibt sich treu – als Demagoge. Das aggressivste Land der Erde – so seine Behauptung sei – na, wer denn anders als die USA? Was er verschweigt, ist beispielsweise ein erforderlicher Vergleich mit der Sowjetunion und Russland. Was um ein Vielfaches verheerender ist: Lafontaine verschweigt, dass es Europa, so, wie wir es kennen, ohne die USA wohl nicht gegeben hätte und geben würde, wäre die von Stalin gereichte ‚vergiftete Frucht‘ des entmilitarisierten Deutschlands nach 1945 Wirklichkeit geworden. Wie es ausgesehen hätte in Deutschland nach 1945 kann man leicht verifizieren, denn nichts – außer der Interessenslage der aggressiven Sowjetunion! – rechtfertigte den Stalinismus nach 1945 in den gesamten Ländern des Ostblocks in Europa! Für diese wechselte eine Diktatur die andere ab- und das gegen den Willen und Widerstand dieser Völker.

Nur Interessen ohne Freundschaft?

Aufschlussreich ist auch Lafontaines Bemerkung, dass zwischen Ländern nur Interessen bestehen, keine Freundschaft. Gern hätte ich ihn gefragt, ob nicht wenigstens Werte die Interessen zu ergänzen hätten. Dass Lafontaine Werte nicht erwähnt, ist eine bezeichnende Aussage. Lafontaine verschweigt zudem die vielen Bemühungen demokratischer Staaten um eine Sicherheitspartnerschaft in Europa – übrigens auch bezüglich von Truppenstärken, Atomwaffen und Angriffswaffen- die allesamt von Russland torpediert wurden. Stattdessen bemüht Lafontaine einen mehr als fragwürdigen Vergleich von imaginären Truppen, die in der Nähe der USA stationiert würden, um über die wahrscheinliche Reaktion der Amerikaner zu philosophieren. Wider besseres Wissen verbreitet Lafontaine Putins Propaganda, dass vor den Toren Russlands aggressive Mächte aufmarschiert sind. In wessen Interesse handelt Herr Lafontaine? Hätte er auch nur im Ansatz Recht, wäre die Situation in der Ukraine heute eine andere. Lafontaine verschweigt wissentlich die Angst, vor allem der kleineren Länder in Europa, vor der immer aggressiver werdenden russischen Außenpolitik. Der Vielredner Lafontaine verschweigt wissentlich das Budapester Memorandum, das der Ukraine ‚robuste‘, verbindliche Sicherheitsgarantien versprach als Gegenleistung für deren freiwillige Abgabe ihrer Atomwaffen. Und was soll man von einem Politiker halten, dessen Kontinuität durch Wechsel und Unberechenbarkeit gekennzeichnet ist, der nach wie vor russisches Öl zu preiswerten Konditionen haben will? Von einem Politiker, der meint, er sei kompetent, um auszusagen, dass Robert Habeck nicht kompetent sei? Und natürlich ‚streichelt‘ Lafontaine – es geht ja um Stimmenfang, also um sein Interesse – all die ‚Seelen‘ derer, die klammheimlich oder ganz offen fragen: „Was geht uns das Schicksal der Ukraine an?“ 

Gefährliche Propaganda

Nein, Lafontaine hat nichts, gar nichts von seinen demagogischen Fähigkeiten eingebüßt, ganz im Gegenteil! Was man vor allem schlussendlich sagen muss: Lafontaine hat keine Erfahrungen eines Lebens in einem totalitären Staatswesen. Das könnte man ihm fast zugutehalten, wenn er (endlich), wie man im Volksmund sagt, „die Klappe gehalten hätte.“ Hat er aber nicht! Genau das ist sein Verhängnis oder sein Kalkül, je nachdem. Für seine kritischen Äußerungen wäre er in einem totalitären Regime im KZ oder im Gulag gelandet. Denn dort machte und macht man ‚kurzen Prozess‘ mit unliebsamen Kritikern. Einzig dem von ihm so verhassten ‚Westen‘ ist es zu verdanken, dass er seine Propaganda weiter so verbreiten kann und darf, ohne etwas befürchten zu müssen. Dabei ist sie so gefährlich, weil viele, vor allem jüngere Menschen, keine Erfahrungen mit totalitären Regimen haben und sich durchaus ‚Erlösung‘ von einem starken ‚Führer‘ versprechen oder von einer ‚führenden Partei‘. Manch‘ einer, der keine ‚Mauererfahrung‘ hat, redet heute von dem Erfordernis, um Europa eine Mauer zu bauen. 

Wo sind die Akteure, die Perspektiven bieten?

Ganz sicher ist bei der Integration Handlungsbedarf. Wer wollte das bestreiten? Doch wo sind die Akteure, die dafür eintreten – endlich – eine Wirtschaftspolitik global voranzutreiben, die gerade jungen Menschen in jenen Ländern eine Perspektive bietet, die wir mit unserer Art zu wirtschaften, täglich ausbeuten? Merken wir nicht längst, dass wir – endlich – teilen, abgeben müssen, damit die ‚Sonnenseite des Lebens‘ erweitert wird? Sind wir wirklich der Marxschen ‚Prophetie‘ von der „Verelendung der Massen“ hoffnungslos ausgeliefert? Wo ist die Kritik an bürokratischen Zuständen hier bei uns im Land, die es jungen Menschen, die zu uns kommen, verbietet, sich wertschöpfend bei uns einzubringen?  Heute geht oftmals ein Riss durch Familien und Freundeskreise mitten hindurch, so dass kaum echte Gespräche noch möglich sind. Lafontaines Propaganda ist hervorragend dazu geeignet, die bestehende Spaltung in unserem Volk noch weiter zu vertiefen.  Nein, weder ein Führerstaat noch eine ‚Diktatur des Proletariats, aber auch kein Kalifat kann eine Alternative sein zu der regelbasierten Demokratie, deren Kennmerkmale die Werteorientierung, der Aushandlungsprozess und der Kompromiss sind. Dass dies kein einfacher Weg ist – wer wollte es bestreiten? Doch gibt es einen besseren? Die Demokratie zu wahren, zu schützen und zu stärken – darum geht es u.a. auch am kommenden Wahlsonntag.

Bild von Tibor Janosi Mozes auf Pixabay

gerne teilen