Was mich glauben lässt – Von der Freude eines Christenmenschen

In wenigen Wochen werde ich meinen Dienst in der Caritas – nach über 40 Jahren –  beenden. Ich spüre, wie ich anfange, manche Vorgänge zu ‚bilanzieren. Dabei stehe ich nicht an, die Bedeutung ‚kirchlicher Existenz‘ zu betonen, wie sie gerade von Menschen wie Romano Guardini, Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Joseph Ratzinger und auch von Eugen Drewermann vorgelebt wurde bzw. wird. Sie sind gewissermaßen Glaubenszeugen aus der ‚Achsenzeit‘ unserer Kirche, die ich um das II. Vatikanische Konzil herum und damit auch in der Nachkonzilszeit verorte. Ein Konzil, das wurde auch von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. mehrfach hervorgehoben, dessen Schätze noch längst nicht gehoben, dessen Vermächtnis noch längst nicht eingelöst worden ist. Besonders auffällig und interessant ist bei diesen ‚Glaubenshelfern‘[1] wie sich – auch und gerade in der Glaubensnot heutiger Tage – ‚die Häupter zuneigen‘. 

Selbstbezogenheit und Kurzformeln des Glaubens

Descartes Cogito ergo sum ist ja letztlich die metaphysische Grundlage der Neuzeit und – neben all dem Guten, auf das wir in der Postmoderne weder verzichten können noch wollen – auch Grundlage der oft so gefährlichen Selbstbezogenheit. Gefährlich deshalb, weil der Ausschließlichkeitscharakter um sich greift, das Machen und Können vor dem Empfangen kommt und ein sich unangemessen breitmachendes ‚Ich‘ buchstäblich die Netze und die Beziehungen zwischen Menschen, Gemeinschaften bis hin zu Völkern zerreißt, wenn es gekoppelt ist mit Macht. Dann zeigt es die widerliche Fratze der Brutalität.  Und je mehr man sich mit den vielen Problemen und Anliegen beschäftigt – man braucht ja nur in eines der vielen umfangreichen Werke von Eugen Drewermann zu schauen – desto ratloser kann man mitunter werden angesichts der Fülle und der Unüberschaubarkeiten. Es drängt sich dann geradezu die Frage auf, die Karl Rahner immer wieder betont hat: Wo sind heute die ‚Kurzformeln‘ des Glaubens, die den Glauben ‚intellektuell redlich auf den Punkt bringen‘, ohne zu vereinfachen und ohne die reiche Tradition zu ignorieren bzw. zu vernachlässigen?

Vertrauen im Licht wie im Schatten

Mir fiel dabei ein theologisches ‚Goldkörnchen‘ in die Hände, denn in dem Buch Drewermanns, das ich persönlich für eines der schönsten und wichtigsten halte und glaube, dass man in ihm ‚Eugen Drewermann in nuce‘ in Händen hält – analog wie  bei „Wir glauben, weil wir lieben“ – , nämlich in „Hat der Glaube Hoffnung?“, das Drewermann zur Jahrtausendwende herausbrachte, kommt nach vielen Einsichten, zahlreichen Erwägungen und Diskussionen über verschiedene Lebensbereiche und Religionsgemeinschaften ein ‚Fazit‘, das sowohl umfassend und präzise jene Glaubenserfahrung widerspiegelt, die sich bei Karl Rahner schon in früher Zeit findet: 

 „Tatsächlich ist die Vorstellung nicht richtig, als sei die (heutige Form von) Psychotherapie imstande, das Leben eines Menschen von Grund auf zu ändern. Da die entscheidenden psychischen Prägungen schon in früher Kindheit erfolgen und sich unmittelbar an die Gehirnentwicklung anlehnen, kommt der Psychoanalyse wohl das Verdienst zu, die Bedeutung der ersten Lebensjahre für den Charakteraufbau eines Menschen erkannt zu haben, doch im Grunde ist diese Erkenntnis der Psychoanalyse zugleich identisch mit dem Eingeständnis ihrer eigenen Ohnmacht. Wirklich verändern kann auch die Psychotherapie im Leben eines Menschen nicht viel; erreichbar ist denn wohl, dass ein Mensch mit sich selbst besser zu leben vermag, und das freilich kann vieles an Selbstwidersprüchen und Symptomen in ihm beseitigen helfen. Ein Mensch, der sich selbst zu verstehen und sogar zu akzeptieren beginnt, lebt geschlossener nach außen, verliert an innerer << Reibung>> und wird auch seine Beziehung zu anderen Menschen offener und freundlicher gestalten können… Die letzte Antwort auf all die psychologisch gerade bei besonders sensiblen und introspektionsfähigen, bei <<berufenen>> Menschen so überdeutlich erlebten Gründen zu Selbstzweifel und Selbstverachtung lässt sich, ganz wie die Bibel es in der Vorbildgestalt des MOSES schildert, gewiss niemals rein psychologisch finden, sondern nur in einem Vertrauen, in allem, im Licht wie im Schatten, leben zu können und leben zu dürfen. Wo dieses Vertrauen sich bildet, da allemal ergreift, jenseits dessen, was Menschen einander zu sagen vermögen, Gott selbst das Wort in Zuspruch und Widerspruch, im Ja zu uns selbst und im Nein zu all dem, was in uns und um uns, verneint, was wir sind…Setzen wir, dass der Prophet der Wahrheit, der Therapeut dem Erkennen und der Dichter dem Glück des Lebens Ausdruck gibt…so verstehen wir, auf welche Weise Gottes <<Wort>> in unsere Herzen Eingang finden kann.“[2]

Bei Karl Rahner liest es sich so: 

 „Mitten im Innersten des bindungslos gewordenen, des kirchen – und dogmenfreien Menschen stand unversehens eine Gewalt auf, die den scheinbar ganz frei gewordenen Menschen bedrängte und verknechtete. In dem Maße, als er den äußeren Bindungen einer allgemein verpflichtenden Sitte, verpflichtender Grundsätze des Denkens und Handelns sich entzog, in dem Maße wurde er nicht eigentlich frei, sondern verfiel anderen Herrschaften, die von innen her ihn übermächtig überfielen: den Mächten des Triebes, den Mächten des Geltungsstrebens, des Machthungers, den Mächten der Geschlechtlichkeit und des Genusses und gleichzeitig den Ohnmächten der von innen her den Menschen aushöhlenden Sorge, der Lebensunsicherheit, des Sinnschwundes des Lebens, der Angst und der ausweglosen Enttäuschung…Er wollte ganz sich selbst entdecken und in sich die autonome Person von unantastbarer Würde – und hatte eigentlich nach aller Tiefenpsychologie und Psychotherapie und aller Existentialphilosophie und aller Anthropologie, in der sich alle Wissenschaften einfanden, um herauszubringen, was eigentlich der Mensch  in seinen tiefsten Gründen und Untergründen sei, nur entdeckt, dass in den tiefsten Tiefen seines eigentlichen Wesens er eigentlich gar nicht – er sei, sondern ein unübersehbares, ungeheuerliches Chaos von allem und jedem, in dem der Mensch eigentlich nur so etwas ist wie ein sehr zufälliger Schnittpunkt dunkler, unpersönlicher Triebe…Weiß der Mensch von heute aus sich wirklich mehr von sich, als dass er eine Frage ist in eine grenzenlose Finsternis hinein, eine Frage, die nur weiß, dass die Last der Fragwürdigkeit bitterer ist, als dass der Mensch sie auf die Dauer erträgt?“[3]

Den Glauben in einer Tiefe zu „befestigen“

„Die letzte Antwort…lässt sich, ganz wie die Bibel es in der Vorbildgestalt des MOSES schildert, gewiss niemals rein psychologisch finden, sondern nur in einem Vertrauen, in allem, im Licht wie im Schatten, leben zu können und leben zu dürfen. Wo dieses Vertrauen sich bildet, da allemal ergreift, jenseits dessen, was Menschen einander zu sagen vermögen, Gott selbst das Wort in Zuspruch und Widerspruch, im Ja zu uns selbst und im Nein zu all dem, was in uns und um uns, verneint, was wir sind.“ – Kann man es besser, einfühlsamer ausdrücken, um was es im Glauben, in der ‚Offenbarung‘, geht? Ich glaube kaum. Und dass jemand wie Eugen Drewermann dieses ‚Fazit‘ am Ende jenes Buches ziehen, das für mich – wie gesagt – eines der schönsten und wichtigsten aus der überreichen Fülle der Bücher Drewermanns ist – ist nicht verwunderlich, sondern zeigt wie in einem Brennglas, was Drewermanns eigentliches Anliegen ist bei allem, was er tut, was er sagt und schreibt: Den Glauben in einer Tiefe zu ‚befestigen‘, in der er standzuhalten vermag.  

Und damit setzt er einen gewaltigen Kontrapunkt gegenüber der neuzeitlichen, zerstörerischen  Selbstbezogenheit. Das verrät eine weitere ‚Kurzformel des Glaubens‘ von ihm: 

 „Das Einzige, was du wissen musst, ist eine Tatsache, die du immer neu erfahren kannst: Es wird in deinem Leben kein Augenblick sein, da ich nicht bei dir bin… Je nachdem, wie du selber dich verhältst und in welch einer Lage du dich findest, werde ich ganz unterschiedlich dir erscheinen. Niemals aber wird eine Situation eintreten, in der ich nicht da wäre. Denn das bin ich dir wesentlich: jemand, der da ist als dein Beistand.‘“[4]

Und auch hier kann ich wieder nur sagen: ‚Wie sich die Häupter zuneigen‘, denn exakt diese ‚Mose-Erfahrung‘ hat Karl Rahner in einem seiner frühesten Gebete zur Sprache gebracht: 

„Was habe ich also anders dir von dir zu sagen, als dass du der bist, ohne den ich nicht sein kann…und wenn ich das von dir sage, dann habe ich mir meinen wahren Namen gegeben…  Ich bin der, der sich nicht selbst gehört, sondern dir. Mehr weiß ich nicht von mir, mehr nicht von dir – Du -, Gott meines Lebens, Unendlichkeit meiner Endlichkeit.“[4]

Damit befinden sich Eugen Drewermann, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar in engster Nachbarschaft, was die ‚Kurzformeln des Glaubens‘ betrifft. Man kann es nachlesen in einer beeindruckenden Kreuzweg-Meditation Hans Urs von Balthasars, die sich in der Berliner –Hedwigs – Kathedrale findet: 

„Bin ich als Ganzer das Nachbild dieses Urbilds, so dass ich mich selber gar nicht denken kann, ohne an Ihn zu rühren?… Cogitor, ergo sum: Er denkt mich, darum bin ich.“[5]

Missverständnis: Nichts in der Welt ist mit Gott identisch

Die Frage der Glaubwürdigkeit von allem bleibt, weil der Gang durch den ‚Feuerbach‘ der Religionskritik niemandem erspart bleibt, der sich um die ‚intellektuelle Redlichkeit‘ auch in Fragen des Glaubens müht. Das gilt uneingeschränkt, es sei denn, die religiöse Erfahrung  wird von vornherein als irrelevant und sinnlos abgetan mit der Begründung, dass die Beschäftigung mit dem Ganzen – und darum geht es in der Religion- schon deshalb grundsätzlich kein sinnvoller Akt sein kann, weil es hierzu per se keine erhebbaren Daten und überprüfbaren Kriterien  gibt. Es kann sie definitionsmäßig nicht geben, wenn und weil es um das Ganze geht. Drewermann stellt sich diesem grundsätzlichen Einwand:

„Ist das alles nicht zu <<subjektiv>>, zu <<psychologisch>> und zu wenig <<wirklich>>? Ein solcher Einwand…beruht an jeder Stelle auf dem gleichen Missverständnis: Nichts in der Welt… ist mit Gott identisch; doch ganz so wie das Aufblühen einer Blume nicht möglich wäre ohne Sonnenlicht, so wenig ist Selbstfindung, partnerschaftliche Beziehung, Liebe möglich ohne Gott…Alles, was in der Verwandlung des Daseins, in seiner <<Erlösung>> von Angst und Verzweiflung in Zuversicht und Identität sich ereignet, verdankt sich…einzig der Erfahrung eines Umgriffenseins und Ergriffenseins im ganzen.“[7]

Geradezu faszinierend ist der Vergleich auch an dieser Stelle mit einem frühen Gebetstext Karl Rahners. Nicht nur, weil wir hier die Gnadentheologie Karl Rahners ‚in nuce‘ vor uns haben. Rahner übernimmt die ‚Mose-Erfahrung‘, die ja auch die ‚Gotteserfahrung‘ Jesu ist, von der her er das ‚Reich Gottes‘ und die Relevanz seines Anbruchs im Hier und Heute proklamierte, ins Gebet hinein.  Dieser frühe Gebetstext Karl Rahners stimmt (auch hier!)  bis ins Wörtliche überein mit Drewermanns Absage an den grundsätzlichen Einwand der Neuzeit, alles sei irgendwie fromme Illusion, die sich über die Wirklichkeit hinwegtäuscht. Alles sei unwirklich, rein subjektiv und hat keinen realen Bezug zur Wirklichkeit. Descartes „Ich denke, also bin ich“- Cogito ergo sum – begründet ja nicht nur Naturwissenschaft und technischen Fortschritt. Es setzt das Ich in den Mittelpunkt alles Tun und Denkens, woraus sich eine bestimmte Wahrnehmung der Wirklichkeit ableitet, die dem Tun und Machen den Vorrang vor dem Empfangen einräumt. Das ist insofern konsequent, weil vorher dem Ich ein Status zugebilligt worden ist, der sich mit Unabhängigkeit, Selbststand und Mündigkeit umschreiben lässt. Wie aber, wenn dieser Status übersieht, dass er selbst auch nur eine Ableitung ist? Wenn – mit anderen Worten – dem Tun und Können das Empfangen doch vorgeordnet ist, wie es im Glauben bezeugt wird? Wenn die Möglichkeiten des Selbststandes sich nicht wiederum selbst begründen? Wenn das Leben, das Sein insgesamt – ein verdanktes Sein ist? Cogitor ergo sum – Er denkt mich, darum bin ich?  

Zugang zum Glauben

Tut sich hier nicht ein spannender, faszinierender (Neu)Zugang zum Glauben auf, der die Neuzeit nicht ignoriert oder bestreitet, sie jedoch in eine Perspektive einordnet, die ihr gemäß ist, weil glaubendes Vertrauen, Hoffnung und Liebe als Ur-Akte personalen Seins und personaler Begegnung wieder stärker im Blick und in Geltung sind als konstitutiv für das Menschsein überhaupt?  Was anderes als Vollzug dieser Grundakte ist das Gebet, worauf gerade Karl Rahner immer wieder insistierte:  

„Dank deiner Barmherzigkeit, du unendlicher Gott, dass ich von dir nicht bloß weiß mit Begriffen und Worten, sondern dich erfahren, erlebt und erlitten habe. Denn die erste und letzte Erfahrung meines Lebens bist du. Ja wirklich du selber, nicht dein Begriff…Du hast mich ergriffen, nicht ich habe dich ‚begriffen‘, du hast mein Sein von seinen letzten Wurzeln und Ursprüngen her umgestaltet, du hast mich deines Seins und Lebens teilhaftig gemacht, dich mir geschenkt…Dich kann ich darum nicht vergessen, weil du ja die innerste Mitte meines Wesens geworden bist.“ [8]

Tiefe – Schönheit – Freude

Ich bin so froh, dass ich immer wieder neu mich des Glaubens vergewissern kann. Weil es kirchliche Menschen gibt wie Karl Rahner, Eugen Drewermann und Hans Urs von Balthasar, denen es gelingt, die Weite und Tiefe des Glaubens so zum Sprechen zu bringen, dass die Schönheit des Glaubens mit der Glaubensfreude eine Einheit bilden, die selbst wiederum ein starkes Glaubensmotiv bildet.

Ihr Rudi Hubert

Überarbeitet und aktualisiert am 2. November 2024.


[1] Karl Pfleger „Christusfreude“, Frankfurt a. Main 1973, S.57 

[2]Eugen Drewermann „Hat der Glaube Hoffnung?“, Düsseldorf-Zürich 2000, S. 290-293

[3]Karl Rahner „Beten mit Karl Rahner“, Band 1 „Von der Not und dem Segen des Gebetes“, eingeleitet von Rudolf Hubert und Roman Anton Siebenrock, Freiburg-Basel-Wien 2004, S. 67f 

[4] Eugen Drewermann „Das Wichtigste im Leben“, Ostfildern 2015, S. 55f – ursprünglich aus „Wendepunkte“, Ostfildern 2014, S. 25

[5] Karl Rahner „Gebete des Lebens“, SW 7, S. 5 f – ursprünglich aus „Worte ins Schweigen“, Innsbruck-Leipzig 1938 (!), dort aus „Gott meines Lebens“, S. 12 f

[6] Hans Urs von Balthasar, Kreuzweg in der St. Hedwigs-Kathedrale zu Berlin, S. 14 (VI. Station), Leipzig 1964

[7] Eugen Drewermann „Wendepunkte“, Ostfildern 2014, S. 498

[8] Karl Rahner SW 7, S.15 f; ursprünglich aus „Worte ins Sc

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