Wochenimpuls September 2025-2
Kirchliche Sinnspuren in not- und säkularen Wendezeiten ist unser Thema. Wir wollen Fragen stellen, Fragen, die Selbstverständlichkeiten aufheben. Wir leben nicht mehr in Zeiten des militanten Atheismus wie im 19. Jahrhundert. Es gab eine Zeit, in der man sich dazu verstieg, zu behaupten, man wisse nicht nur, dass es Gott nicht gibt. Man könne sogar beweisen, dass und warum es ihn per se gar nicht geben kann. Diese Haltung war reichlich naiv und wurde vor allem auch durch existentielles Denken und existentielle Erfahrungen im 20. Jahrhundert ad absurdum geführt.
Esoterikboom, Konsumismus, Machtansprüche, Ohnmacht
Allmacht und Ohnmacht kennzeichnen das menschliche Empfinden bis in die Gegenwart hinein ebenso wie der Glaube an die Wissenschaft und das gleichzeitige Eingeständnis der nicht zu überwindenden Relativität allen Seins, aller Erkenntnis, aller Sprache und allen Tuns. Anstelle der Gottesleugnung trat die Erfahrung der fast völligen Irrelevanz dessen, was mit Religion gemeint ist bzw. sein könnte in fast allen gesellschaftlich-relevanten Vorgängen. Zumindest kann man diese ‚Mentalität‘ für unseren Bereich, also für Westeuropa konstatieren. Der Ausfall der Gottesfrage allerdings führt fast immer auch zum Ausfall der Frage nach dem Menschen. Hier gibt es eine Korrelation, die nicht aufzulösen ist. Denn wenn ein Aspekt ausfällt, fällt der andere dahin. So kommt es zustande, dass das Zeitalter des Ausfalls der Gottesfrage einhergeht mit einem ungeahnten Esoterikboom, einem ungehemmten Konsumismus und der Erfahrung von Machtansprüchen und Ohnmachtserfahrungen, die sich gegenseitig verstärken.
Das Fragen lernen – Wie geht das angesichts dieses ‚Befundes‘ in not- und säkularen Wendezeiten? Karl Rahner formuliert eine fundamentale Erkenntnis menschlichen Seins in seinem „Grundkurs des Glaubens“ folgendermaßen:
„Man kann darum auch nicht im eigentlichen Sinn einen Begriff von Gott bilden und danach dann fragen, ob so etwas auch in der Wirklichkeit gegeben ist. Der Begriff in seinem ursprünglichen Grund und die Wirklichkeit selbst, die als solche dieser Begriff meint, gehen in einem auf oder werden in einem verborgen.“ 1
Das leuchtet ein, weil vor jeder Reflexion immer die Lebenserfahrung steht. Rahner hat diese Erfahrungen existentiell durchlebt und in seinen Gebeten durchbuchstabiert. Etwa die Frage: Was kann man überhaupt noch wissen, was kann man überhaupt noch glauben, wer – Gott – bist Du? Wer bin ich? Wie hast du mich geschaffen?
„Was habe ich also anders dir von dir zu sagen, als dass du der bist, ohne den ich nicht sein kann, als dass du die Unendlichkeit bist, in der allein ich, Mensch der Endlichkeit, zu leben vermag? … ich bin der, der sich nicht selbst gehört, sondern dir. Mehr weiß ich nicht von mir, mehr nicht von dir – Du -, Gott meines Lebens, Unendlichkeit meiner Endlichkeit.“ 2
- Karl Rahner „Grundkurs des Glaubens“, SW 26, Freiburg-Basel-Wien 1999, 58 ↩︎
- „Beten mit Karl Rahner“, Band 2 „Gebete des Lebens“, Freiburg-Basel-Wien 2004, S. 27 – SW 7, 5 ↩︎