Es gibt Bücher, denen man beim kurzen „Überfliegen“ des Textes nicht gerecht wird. Erst wenn man das Werk einmal und vielleicht ein zweites Mal, ja vielleicht sogar ein drittes Mal zur Hand nimmt, erschließt sich dessen Gehalt – und damit auch seine Bedeutung.
Ein solches Buch ist die tiefgründige Untersuchung von Michael Hauber zur Trinitätstheologie Karl Rahners. Das Werk „Unsagbar nahe“[1] ist im Jahr 2011 in der Reihe „Innsbrucker theologische Studien“ erschienen. Der Autor erhielt für seine Arbeit den renommierten Karl Rahner – Preis.
In diesem Werk wird Karl Rahners Trinitätstheologie theologisch-systematisch untersucht. Rahners Trinitätstheologie – so arbeitet Hauber es heraus – ist recht eigentlich das Herzstück rahnerscher Gnadentheologie. Es ist sehr hilfreich, dass der Autor ohne Polemik, dafür aber mit umso gründlicherer Recherche Missverständnisse, Vorurteile und auch Vorverurteilungen gegenüber Rahners Theologie souverän abweist.
Diese Studie hat einerseits ein sehr hohes theologisches Niveau, doch es vermittelt beileibe nicht nur Expertenwissen, sondern ist gewissermaßen ‚alltagstauglich‘. Ich gestehe freimütig, dass ich das Buch erst recht schätzen gelernt habe auf Grund seiner praktischen Relevanz. Dies möchte ich kurz erläutern: Sowohl in der Diskussion im Erzbistum Hamburg um die Frage, wie kirchliches Leben in so genannten Pastoralen Räumen gestaltet wird als auch im Interreligiösen Dialog, wird für mich die Theologie Karl Rahners immer bedeutsamer. Sie tiefer zu verstehen, ihre Impulse aufzunehmen, sie umzusetzen, anzuwenden und weiter zu entwickeln – das ist heute eine Aufgabe von hoher pastoraler Dringlichkeit. Und dabei kann das Buch von Michael Hauber eine überaus wertvolle Hilfestellung bieten.
Denn es tauchen vielfältige Fragen auf, auf die die Kirche heute Antworten geben muss, will sie nicht stumm bleiben oder durch das Verharren in erstarrten Sprachspielen zunehmend irrelevant werden.
„Die katholische Theologie hat… nicht mehr einfach eine Sprache, sie muss viele lernen…Aber sie wird weiter meinen, dass sie in den vielen Metaphysiken, mit denen sie heute sprechen muss, eben doch nicht einfach Sätze sagt, die sich wie ein einfaches Nein und Ja in absoluter Verständnislosigkeit gegenüberstehen…weil auch die Theologie eine menschliche Sprache ist und jede menschliche Sprache, so sie nur nicht selber tot ist, in das unsagbare Geheimnis fragend hineinweist, auf das es der Theologie letztlich ankommt.“
236,Anm: 953-Vgl. Rahner, Bemerkungen zur Gotteslehre,186
Hauber zeigt in diesem kurzen Zitat das Wesen des mystagogischen Charakters rahnerscher Theologie auf: Die Einweisung in das unsagbare Geheimnis. Darum geht es in der Theologie, will sie sich selber nicht gründlich missverstehen.[2]
Und vielfach wird die Frage gestellt nach dem Eigentlichen des Christlichen, das sich hinter all den vielen Worten und dogmatischen Formulierungen verbirgt. Nicht gering ist die Gefahr, in Beliebigkeit auszuweichen, in Fundamentalismus oder in Sprachspiele, die niemand heute mehr versteht. Hauber zeigt eindrucksvoll, wie Karl Rahners Theologie wesentlich Seelsorge ist, wie er in seinem Denken die Anliegen der Menschen aufgreift, sie versteht, sie theologisch bedenkt, ohne geschichtsvergessen zu spekulieren oder die Tradition kirchlichen Lebens und Denkens zu verachten. Und ist nicht dies – Glauben in kirchlicher Gestalt – heute dringender denn je geboten? Und ist diese Aufgabe heute schon hinreichend eingelöst?
„Bei einem solchen Neu-verstehen muss aber stets der hermeneutische Grundsatz walten, dass zuerst die dogmatische Aussage aus ihrem Kontext (und nicht zuerst aus unserem! – so schwer das auch im Einzelnen sein mag) erfasst werden muss, ehe sie verheutigt wird (sofern man das letztere für nötig hält.)
(220)
„Die knappe Zusammenfassung der Trinitätslehre soll nach Rahner mögliche Missverständnisse vermeiden helfen und außerdem auch sich selbst als unentbehrliches Instrument der Gottesrede ausweisen, weil einzig durch sie der Kern der Botschaft des Christentums bewahrt werden kann, dass es keinen geschöpflich -menschlichen Bereich gebe, welcher von Gott nicht durchdrungen wäre, dieser Gott aber nicht trotz, sondern gerade wegen dieser unüberbietbaren Nähe souverän über das erhaben bleibe, was er nicht ist.“
(189)
Auch die beiden nachfolgenden Zitate sind typische Beispiele dafür, wie es dem Autor hervorragend gelingt, auf engstem Raum die Bedeutung der Trinität für eine – gewissermaßen in‘ s Leben gewendete – Theologie aufzuzeigen. Damit scheint zugleich die unüberbietbare Nähe der Liebe Gottes als das eigentlich Christliche auf – eine Aussage, die in der Verkündigung und im interreligiösen Diskurs von kaum zu überschätzender Bedeutung ist.
„Die Aussagen der kirchenamtlichen Trinitätstheologie halten aufrecht, dass Gott Gott ist und bleibt, dass er unendlich erhaben ist über allem, was ist, und zugleich, dass diese Erhabenheit nicht, wie man auf den ersten Blick denken könnte, ein Grund ist, Gott und Welt auseinanderzudenken. Denn wenn das letztere der Fall wäre, wenn Gott auf der einen, Welt aber auf der anderen Seite stünde, hätte man zwei Fahrlässigkeiten des Denkens begangen: Zum einen hätte man Gott durch dieses Dualitätsraster zum Gegenstand des menschlichen Denkens, zum anderen aber die duale Struktur menschlichen Denkens zum letztmöglichen Denkbaren gemacht. Das erste ist reine Blasphemie, das zweite eine inkonsistente Position. Wenn Gott in seiner Gottheit zugleich erhaben und in der Welt engagiert ist…dann ist ein Vermittlungsgedanke notwendig. Und dieser präsentiert sich in der Gestalt der Trinitätstheologie.“
(234f)
„Das spezifisch Christliche der Trinitätslehre (etwa im Gegensatz zu dem, was man sich gemeinhin unter dem jüdischen oder islamischen Gottesbild vorstellt), ist nicht die unbestrittene Transzendenz…Damit wäre er schon unbegreiflich genug. Das Wesen der Unbegreiflichkeit des jüdisch-christlichen Gottes ist aber nicht seine Transzendenz, sondern die stetig zunehmende, direkte Proportionalität im Verhältnis von Ferne und Nähe dieses Gottes! Und die theologische Ausformulierung dafür ist die klassische Trinitätslehre selbst.“
(235)
Vielleicht ist es sinnvoll, hier noch kurz zu verweilen und aufzuzeigen, wie Hauber gerade an dieser wichtigen Stelle rahnerscher Trinitätstheologie seine „Klarstellungen“ anbringt:
„Die altkirchlichen und mittelalterlichen Symbola und Lehrverurteilungen halten doch fest, dass das Gemeinsame der Drei die numerisch eine Wesenheit Gottes ist, und das trinitarische Grundgesetz des Florentinums schärft die Unerlaubtheit der Generalisierung dessen, was die oppositio relationis ausmacht, nochmals ein. Deswegen gibt Rahner zu bedenken,„dass wir in Bezug auf Gott nicht von drei Personen sprechen können, so wie es sonst geschieht und von daher bleibt die kerygmatische Schwierigkeit immer neu virulent, dass man immer wieder (wegen des sonstigen Sprachgebrauchs) vergißt, daß ‚drei Personen‘ weder eine mengenhafte Multiplikation des Wesens noch eine ‚Gleichheit‘ der Personalität der drei Personen besagen will“
(253f)
Gerade um den Begriff der ‚Person‘ geht vielfach die eigentliche theologische Kontroverse in der Trinitätstheologie. Hauber arbeitet nicht nur den Kontext sauber heraus, in dem diese theologischen ‚Vokabeln‘ zu stehen kommen. Er vermeidet es, sich auf billige Polemik (beispielsweise Vogels „Karl Rahner im Kreuzverhör“)[1] einzulassen und arbeitet stattdessen die praktische Relevanz dieser theologischen Fachsprache heraus: Wir haben es als Menschen tatsächlich mit Gott zu tun, nicht mit einer ‚Sache‘ oder einem Ersatz, den er uns ‚gnädig‘ zuwendet. Das ist in der Tat „unüberbietbar“ und deswegen in gewisser Weise auch eine Rechtfertigung christlichen Glaubens „in intellektueller Redlichkeit“ auf „der ersten Reflexionsstufe“.
„Es mag zwar eine Binsenwahrheit im theologischen Geschäft sein, aber mit Rahner muss an dieser Stelle doch daran erinnert werden, dass ‚Person’ und ‚Wesen‘ deswegen eingeführt wurden, weil die unmittelbare Begegnung des Menschen mit dem einen Gott in Jesus und im Heiligen Geist, welches Gottes Gottsein auf gar keine Weise antastet, nicht mehr ohne Weiteres als Begegnung mit dem einen Gott eingesehen wurde. Die beiden Begriffe sollen also nur andere Worte für das in der Schrift Offenbarte und von den Christinnen und Christen Erfahrene sein, nämlich für das, was hinter der Aussage steht: Gott ist uns in Jesus und im Heiligen Geist unwiderruflich und unüberbietbar nahe.“
(93)
„Auf jeden Fall…will die Rede vom einen Wesen Gottes und den drei göttlichen Personen die eben beschriebene Urerfahrung der Christinnen und Christen festhalten – und weil diese Begrifflichkeit dies nach hartem Ringen um selbige auch einst geleistet hat, deswegen wurde sie normativ, und nicht etwa umgekehrt!“
(94)
„Gott bewahrt sich in seiner Selbstmitteilung nämlich nicht irgendeinen Restbestand auf, sondern er gibt sich ganz: Weil Gott trinitarisch ist, kann er sich dem, was er nicht ist, in seinem trinitarischen Selbst mitteilen; und umgekehrt ist diese Selbstmitteilung die gnoseologische Grundlage unseres Wissens um Gottes Sein. Auch als Vater eignet Gott daher eine notionale Beziehung zum Menschen und zwar eine solche, welche ihn als ursprunglosen erkennen lässt.“
(190)
Dabei ist besonders hilfreich, wie Hauber auf S. 83 Rahners theologischen Symbolbegriff als entscheidendes Instrumentarium erläutert. An dieser Stelle hätte ich mir allerdings einen noch deutlicheren Hinweis auf die ausgezeichnete Arbeit „Gnade und Welt“ aus dem Jahre 1982 von Nikolaus Schwerdtfeger gewünscht.[1]
Die nachfolgenden Zitate belegen für mich eindrucksvoll die Relevanz der Gnadentheologie im Denken Karl Rahners. Weil Gottes Zuwendung allen Menschen – zumindest als Angebot – gilt, gilt auch: Es gibt Gerechtfertigte auch außerhalb jeder Institution, denn „Gottes Geist weht, wo er will“. Wir leben nicht in einer „gnadenlosen“ Welt. Und weil es gnadengetragene Vollzüge auch ‚außerhalb‘ der Kirche gibt, müssen wir selbstkritisch sagen: Wenn das, was Kirche lebt und lehrt, Gottes Liebe nicht vermittelt, vermitteln kann, ist dieser Befund zunächst kein Urteil über Andere, sondern eher eine Anfrage an uns selber, ob wir nicht zu engstirnig, zu kleingläubig sind, zu wenig Glaube, Hoffnung und Liebe haben, denn
„Gott ist für das Neue Testament und die griechische Theologie der Patristik nicht einfachhin der Dreifaltige, sondern der Vater; damit wird die Frage wieder offen beantwortbar, wie unsere eigene Gotteskindschaft aus Gnade zu interpretieren ist. Ist diese Kindschaft eine Beziehung zum Dreifaltigen…oder ist der Vater auch unser Vater, weil er uns durch den Sohn im Geist adoptiert? Rahner plädiert für das Letztere und damit ebenso für…das logische Prius der ungeschaffenen Gnade.“
(205)
„Rahners Anliegen…ist doch…einzuschärfen, dass man es in Geschichte und Gnade tatsächlich mit Gott zu tun hat: es geht also bei Rahner nicht um eine neue Präsenz der innertrinitarischen Selbstmitteilung Gottes…um die endgültige, unaufhebbare und vollkommene Aufgehobenheit der Schöpfung im dreifaltigen Gott. Freilich muss man, damit man dies richtig sehen kann, Trinitätslehre sofort mit Christologie, Gnadenlehre und Eschatologie verbinden, was das Axiom übrigens leistet, und darf diese Verbindungen nicht unterschlagen.“
(225)
Gerade das letzte Zitat ist noch einmal ein gutes Beispiel dafür, dass Rahners Theologie „ganz normale römisch-katholische Schultheologie“ ist, dass sie eine „vernetzte Theologie“ ist, in der
alles mit allem zusammenhängt. Man wird dem Denken Rahners eben nicht gerecht, wenn man nur Einzelheiten aus seinem umfangreichen Werk bedenkt, ohne die „Schultheologie“ zu kennen. Man wird und man muss – um Rahner richtig zu verstehen – immer den Gesamtzusammenhang der Theologie im Blick behalten.[1] Dem Autor ist dieser Blick auf das Ganze der Theologie Rahners immer präsent. Nicht zuletzt deshalb hat dieses Werk auch eine so praktische Relevanz.
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass dieses Buch auch und besonders von jenen gründlich studiert wird, die in der Pastoral Verantwortung für die Verkündigung tragen. Und natürlich hoffe ich auch, dass dieses Buch, gerade wegen seiner Präzision in der Begrifflichkeit, auch in Fachkreisen der Theologie die Wertschätzung erfährt, die ihm zukommt.
Gerade um das rechte Verständnis in der Trinitätstheologie (vgl. die schon fast klassisch anmutende Kontroverse Rahner-Balthasar)[2] wurde und wird ja nach wie vor heftig gerungen, [3]so dass Haubers Arbeit auch in fachwissenschaftlicher Hinsicht zur Selbstvergewisserung in bedeutendem Maße beitragen kann, denn die Kohärenz, die Stimmigkeit im Denken Karl Rahners, wird hier in einer Weise auf-und nachgewiesen, die beispielgebend ist und die auf diesem Niveau längst nicht immer im theologischen Diskurs als ‚Qualitätsstandard‘ ausgemacht werden kann.
Wünschenswert wäre allerdings, wenn Hauber noch stärker auf die spirituellen Werke Rahners, besonders auf seine Gebete und Meditationen, eingegangen wäre. In ihnen findet sich der „ganze Rahner“, hier erlebt man „Glaube im Vollzug“. Und in den Gebeten und Meditationen sind – oft in einer wunderbaren Sprache – die verschiedenen Ansätze, Implikationen, die geistlichen Wurzeln und Antriebe Karl Rahners ‚versammelt‘. Aber vielleicht ist das ja eine Aufgabe, der sich der Autor gerne in Zukunft noch stärker widmen möchte. Ich hoffe darauf.
[1] Michael Hauber „Unsagbar nahe“ – Eine Studie zur Entstehung und Bedeutung der Trinitätstheologie Karl Rahners, Innsbruck-Wien 2011 – Die in Klammern stehenden Zahlen beziehen sich auf die Seitenzahlen des Buches
[2] Vgl. hierzu Ralf Miggelbrink „Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug“, Altenberge 1989, S. 11 ff – Michael Hauber selbst verweist in seinem Werk (S. 14) auf die Bedeutung der Arbeit von Miggelbrink ebenso wie Vorgrimler noch im Jahr 2004 – also 15 Jahre nach Erscheinen dieser Arbeit – in seinem Buch „Karl Rahner – Gotteserfahrung in Leben und Denken“, Darmstadt 2004, S.14
[3] Heinz-Jürgen Vogels „Rahner im Kreuz-Verhör“, Bonn 2002 – kritisch hierzu Rudolf Hubert „Im Geheimnis leben“ – Zum Wagnis des Glaubens in der Spur Karl Rahners ermutigen, Würzburg 2013, S. 436 ff
[4] Nikolaus Schwerdtfeger „Gnade und Welt“, Freiburg-Basel-Wien 1982 – „Schwerdtfeger hat eine phantastische Dissertation geschrieben, die bis heute eine sehr, sehr gute Arbeit ist. Er hat dieses kategoriale Element konkretisiert, es klingt ja bei Rahner immer etwas abstrakt. Dann hat er vor allen Dingen auch die ganzen Aussagen zum Symbol und zum Symbolischen herangezogen, nicht nur zum „Herz Jesu“ den Aufsatz „Theologie des Symbols, sondern eben auch die ganzen Aussagen zum Kreuz, so dass klar war, dass das transzendentale Element nicht für sich alleinsteht, sondern immer vermittelt mit dem Kategorialen, und dass da natürlich das Geschichtliche, das Partikuläre des Christentums, einen viel größeren Stellenwert hat, als es aussah.“ So Karl Lehmann noch im Jahr 2006 – 24 Jahre nach Erscheinen der Arbeit von Schwerdtfeger – in „Begegnungen mit Karl Rahner“, Freiburg-Basel- Wien, S. 92
[5] 5 Ralf Miggelbrink „Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug“, Altenberge 1989, S. 81 ff
[6] Vgl. hierzu in ZKTh, Heft 3,2012,134. Band – Rudolf Hubert/Roman A. Siebenrock „Universales Sakrament des Heils“ – Theologische Orientierungen für den Weg der Kirche im 21. Jahrhundert im Ausgang von Karl Rahner und im Blick auf zentrale Anliegen Hans Urs von Balthasars, S. 324-343
[7] Beispielsweise die Kontroverse Striet- Vorgrimler- Greshake 2002f