Theologie vom Menschen her

Wochenimpuls November 2025-2

Wer Hoffnungstüren zwischen Himmel und Erde öffnen will, wird gut daran tun, seinen Blick auf den Menschen zu schärfen. Denn nur eine Theologie, die den Menschen hinreichend im Blick hat, kann die Heilsantwort auf die Gebrochenheit menschlicher Existenz überhaupt vernehmen. 

„Theologie vom Menschen her – das heißt zu integrieren, was man heute über den Menschen weiß:  – seine Gefühle, die den Hunderten von Millionen Jahren sich verdanken, in denen er sich aus der Tierreihe entwickelte; die Antriebe, Sehnsüchte, Bilder seiner Psyche, die tief im Unbewussten liegen; die Ohnmacht des Bewusstseins gegenüber dem bewussten Wollen; die abgründige Ausgeliefertheit im Getto seiner Ängste, Aggressionen, Zwänge und Kompensationsversuche; – das Warten auf Erlösung durch eine Gnade, die es inmitten der gesamten Welt nicht gibt. D a v o n im Wesentlichen hat das Christentum zu sprechen, darin liegt seine Offenbarung, dadurch allein vertieft sich sein Blick auf die Menschen im Untergrund der oberflächlichen Bewertungen nach Gut und Böse auf der Ebene von Ethik und Jurisprudenz…Ein solcher Perspektivwechsel ist total; er ändert nicht den Inhalt, doch die Richtung der gesamten Religion. Sie…dient der Heilung jener Krankheit, die das Dasein ohne Gott, im Feld radikaler Gnadenlosigkeit der Welt, sein muss.“ 1

„Eine Gnade, die es inmitten der gesamten Welt nicht gibt.“ D a v o n hat das Christentum zu sprechen. Das ist vielleicht auch das, was am Allermeisten heute vonnöten ist in einer Zeit, die Hoffnung und Sehnsucht verdrängt durch eine Imagination von Allmachtsphantasien, um dahinterstehende Ängste zu kompensieren. Eugen Drewermannbeschreibt eindringlich und in einer aufrüttelnden Passage, wie Kirche sich heute gewissermaßen ‚zu verorten‘ hat. Es geht nicht um den Inhalt der Botschaft – er ist und bleibt gültig. Doch stimmt unsere Richtung (noch)? Denn Religion hat – und zwar auf den verschiedensten Feldern – dem Menschen von heute wirksamk zu helfen, seine vielfältigen und verschiedensten Sorgen und Nöte überhaupt erst wahrzunehmen, sich seiner „abgründige(n) Ausgeliefertheit im Getto seiner Ängste, Aggressionen, Zwänge und Kompensationsversuche“ überhaupt erst bewusst zu werden. 

Dieser ‚Aufklärung‘ muss praktische und angemessene Hilfe folgen, Hilfe die erfahrbar, die spürbar ist. Nur so wird man mit Ängsten und Nöten angemessen und konstruktiv umgehen können. Um es noch einmal anders, mit den Worten Eugen Drewermanns zu formulieren, die anmuten wie eine „Kurzformel des Glaubens“: 

„Es läuft hinaus auf eine therapeutische Form des Religiösen, die an die Stelle des moralischen Imperativs die Erfahrung eines existentiellen Optativs setzt: nicht das <<Du musst>> des Gesetzes, einzig das <<Du darfst sein>>der Liebe öffnet den Raum einer Menschlichkeit, in dem die Forderungen der Sittlichkeit erfüllbar werden.“ 2


  1. Eugen Drewermann „Das Wichtigste im Leben“, Ostfildern 2015, S. 50 (ursprünglich aus Eugen Drewermann „Wendepunkte“, Ostfildern 2014, S. 19 ↩︎
  2. Eugen Drewermann „Liebe, Leid und Tod“ – Daseinsdeutung in antiken Mythen, Ostfildern 2013, S. 703 ↩︎
Foto von Anne Nygård auf Unsplash

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