Rezension zu Heribert Körlings „Auf Abwegen – Theopoetische Texte“

Rezension zu Heribert Körlings „Auf Abwegen – Theopoetische Texte“ 1

Ein kleines, aber inhaltschweres Buch von Heribert Körlings ist überschrieben mit „Auf Abwegen – Theopoetische Texte“. Ich würde es überschreiben mit „Ein Meisterstück“. Denn es gelingt dem Autor meisterhaft, Plausibilitäten zu irritieren, Selbstverständlichkeiten und scheinbar unumstößliche Gewissheiten ins Wanken zu bringen. Und das in einer Zeit der grellen Lichter und der fetten Schlagzeilen. Wie er das macht? Auf eine überraschend einfache Weise gelingt es ihm. Aber diese „einfache Weise“ muss beherrscht werden. Körlings beherrscht sie meisterhaft. Warum er das macht? In Form von Aphorismen, mit kleinen, präzisen Texten, gelingt ihm „die Öffnung des Herzens“ (Karl Rahner) als Voraussetzung für eine Hoffnungsperspektive, die je stärker erkennbar ist, je stärker sie ignoriert, bestritten oder relativiert wird. Diesem Paradox geht Körlings im gesamten Büchlein mit einem Gespür nach, das immer wieder, mitunter überraschend ‚fündig‘ wird:

„Gott genügt, basta, sonst nichts“,
sagt Teresa von Avila

„Naja, eine Nonne,
wenn die meint.
Ich glaub‘ an ein höheres Wesen, irgendwie.“

„Du, weißte was? Mir fehlt nix.
Ich glaub an mich,
basta! (51) 2

Die ‚Alternative‘ zum Glauben – einfacher und gleichzeitig überraschender geht‘ s kaum: Gott genügt – basta! Und: Ich glaub an mich, basta!

Ein anderes Beispiel, das fesselnd und faszinierend ist – nicht nur ob seiner Prägnanz:

„Damit sie ruhig
sind“, wie man lesen kann,

drückt,
atmosphärenbeflissen,
der Gemeindeassistent
freundlich lächelnd

den Kindern
ein modernes religiöses
Bilderbuch
in die Hand.

Zur Ruhe gebracht

Vor dem unmodernen
„Wort des Lebendigen Gottes“,
schützt er sie
todsicher. (30)

Man könnte von einer „Einübung in irritierendes Vertrauen“ 3 sprechen, denn was ist das für eine Ruhe, die gebracht wird, was für ein Schutz, der „todsicher“ eintritt? Der Autor erreicht mit wenigen, dafür umso treffsicheren Worten, dass Scheinsicherheiten als solche entlarvt werden:

Wer´s glaubt.

Wenn Du´s nötig hast.

Es sei Dir gegönnt.

Ich. brauch´s nicht. (35)

Dein Herz schlägt

Regelmäßig, diskret,

umsonst. (36)

Unmittelbar hinter dem scheinbar ‚in Stein gemeißelten‘ „Ich brauch‘ s nicht folgt nur eine Seite weiter jener Text, der mit Gratis überschrieben ist und der uns anhand dessen, was das Herz stündlich, ja minütlich für uns leistet – und zwar ‚gratis‘ – auf den Geschenkcharakter des Lebens aufmerksam macht.

Ist das Leben ein Geschenk? Gibt es den Geber aller Gaben? Ändert sich für uns etwas, wenn diese Frage positiv beantwortet wird? Darum scheint es dem Autor in all seinen Überlegungen zu gehen: Auf die Chance, auf die Hoffnung, auf die Lebensfülle des Glaubens aufmerksam zu machen. Und das inmitten einer Welt, die meint, sich den ‚Luxus‘ leisten zu können, weder diese Fragen zu stellen noch dieser ‚Sehnsucht nach Mehr‘ nachzuspüren.

Die Alternativen, die Körlings aufmacht, sind wegen ihrer Kürze und Prägnanz sowohl herausfordernd als auch öffnend. Öffnend – wohin? Wenn einerseits gesagt wird:

Kein Bedarf

Schuld:

die Evolution,

das System,

die Erziehung,

die biologische Disposition,

die Gesellschaft,

die Eltern.

Die da oder der Gott selbst,

sollte es ihn doch geben,

hat, wenn möglich, Erlösung vielleicht nötig,

ich nicht. (32)

Und andererseits, quasi Überm Strich

Du bist alles.

Du bist mehr als alles.

Du bist mehr als ich für mich.

Da.

„Sollte es ihn doch geben…!“ Das sitzt. Und zwar sehr tief! „Wenn es doch wahr ist?“ fragte der alte Rabbi in einer alten jüdischen Geschichte den ungestümen, sich allwissend gebenden jugendlichen ‚Aufklärer‘. Sollte es ihn doch geben?! Ich wünsche diesen „Theopoetischen Texten“ viele aufmerksame, fragende und verstehende Leserinnen und Leser. Ich hoffe, dass Sie etwas von dem ‚verspüren‘, was mehr angedeutet als ausformuliert dasteht: „Du bist mehr als ich für mich.“ Mich erinnert dieser Duktus sowohl an ein Buch von Dorothee Sölle mit dem Titel „Es muss doch mehr als alles geben.“ (Hamburg 1992) als auch an das letzte Buch von Reinhold Schneider mit dem Titel „Winter in Wien“ (März 1958).

Der große Tröster in schwerer Zeit konnte nur noch in Fragmenten schreiben, mehr hinweisen als beschreiben, was er denn meint. Ob das nicht auch für unsere Zeit genau ‚der richtige Ton‘ ist, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden? Mir scheint, Körlings hat diesen Ton ausgezeichnet getroffen.


  1. Heribert Körlings „Auf Abwegen – Theopoetische Texte“, Würzburg 2025 ↩︎
  2. Die Zahlen in Klammern geben die Seitenzahlen im Buch an. ↩︎
  3. Johann Baptist Metz in „Beruf Mensch“, Leipzig 1983, S.25 ↩︎

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