Rechnendes Denken und besinnliches Denken

Wochenimpuls Mai 2025-3

Beide Denkweisen sind legitim und notwendig

Von der großen Hoffnung des kleinen Senfkorns soll in diesem Monat die Rede sein. Das darf nicht zu einer billigen Floskel verkommen, nach der der ‚liebe Gott‘ eh kein anderer sein kann als der Gute, der Barmherzige, der „der alles so herrlich regieret.“ Wie man sich der großen Hoffnung des kleinen Senfkorns ‚intellektuell redlich‘ nähern kann, zeigt uns Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. in seinem Grundlagenwerk „Einführung in das Christentum“ mit einer bedeutsamen Unterscheidung: 

„Man darf hier vielleicht an eine Gegenüberstellung Martin Heideggers erinnern, der von der Dualität von rechnendem Denken und besinnlichem Denken spricht. Beide Denkweisen sind legitim und notwendig, aber eben deshalb kann keine von beiden in die andere hinein aufgelöst werden. Beides also muss es geben: das rechnende Denken, das der Machbarkeit zugeordnet ist, und das besinnliche Denken, das dem Sinn nachdenkt. Man wird dem Freiburger Philosophen wohl auch nicht ganz Unrecht geben können, wenn er die Befürchtung ausdrückt, dass in einer Zeit, in der das rechnende Denken die staunenswertesten Triumphe feiert, der Mensch dennoch, ja vielleicht mehr als zuvor, von der Gedankenlosigkeit bedroht ist, von der Flucht vor dem Denken. Indem er allein dem Machbaren nachdenkt, steht er in Gefahr zu vergessen, sich selbst, den Sinn seines Seins zu bedenken.“ 1 

Wunder

Dankbarkeit und Freude sind vielleicht jene ‚Tugenden‘, die entscheidend mithelfen können, der Gefahr des Vergessens zu entgehen. Wer die Mühe nicht scheut, „sich selbst, den Sinn seines Seins zu bedenken,“ kann rasch erkennen, was und wieviel er anderen Menschen verdankt. Das Lächeln eines Menschen, das vertraute: „Du, ich mag dich.“ Oder aber auch: „Ist o.k., ich verzeihe dir.“ – Wie oft wirken solche ermunternden Worte und Gesten in unserem Leben buchstäblich ‚Wunder‘, also Zeichen der Freude, des Friedens, der Hoffnung und der Versöhnung. Wie oft können sie der „großen Hoffnung des kleinen Senfkorns“ Nahrung geben. 


  1. Joseph Ratzinger „Einführung in das Christentum“, München 2000, S.63 – Es ist die „völlig unveränderte, mit einer neuen Einführung versehene Neuausgabe“ des Buches aus dem Jahr 1968 ↩︎

Bild von Marion Wellmann auf Pixabay

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