„Quo vadis“ – Wohin gehst du, Kirche? 

Ein geistlicher Impuls zum Reformprojekt „Sendung und Sammlung“ im Erzbistum Hamburg im Jahr 2025

Der Bistumstag zum neuen Reformprojekt „Sendung und Sammlung“ ist vorüber; die Stimmung – so berichteten es verschiedene Augen- und Ohrenzeugen – war prächtig. Es gab viele Begegnungen ‚auf Augenhöhe‘, einen regen Austausch, bereichernde Gesprächsrunden. Die großen Blöcke wurden vorgestellt und erörtert. Sie heißen

  • Engagement unterstützen
  • Erreichbar sein
  • Den Glauben ins Spiel bringen
  • Synodalität leben
  • Ressourcen managen 
  • Pastorales Personal einsetzen. 

Im Ehrenamt eigene Charismen wahrnehmen

Inhaltlich scheint noch sehr vieles unklar zu sein. Vieles hängt auch davon ab, ob der Impuls aufgegriffen wird, im ‚Ehrenamt‘ die eigenen Charismen nicht nur wahrzunehmen, sondern sie auch anzunehmen und sie einzustiften in die Gemeinschaft der Gläubigen, besonders der gläubigen Gemeinschaften vor Ort. „Das Salz im Norden“ war ein erster ‚Aufschlag‘, die Entwicklung der „Pastoralen Räume“ folgte rasch und mündete ein in den „Pastoralen Orientierungsrahmen.“ Fast mutet es so an, als ob die Fragestellungen zur Würzburger Synode, wie sie Karl Rahner vor nunmehr über 50 Jahren formuliert hat, noch immer (oder schon wieder?) der Umsetzung bedürfen. Rahner stellte seinerzeit drei fundamentale Fragen: 

  • Wo stehen wir?
  • Was sollen wir tun? 
  • Wie kann eine Kirche der Zukunft gedacht werden?[1]

Kirche neu erfinden?

Ein Vergleich mit Äußerungen von Eugen Drewermann und Hans Urs von Balthasar zur ‚Kirchenpolitik‘ soll zeigen, wie wertvoll die Impulse Karl Rahners auch heute – vielleicht gerade heute – sind. Denn sie werden gespeist aus einer langen geistlichen Tradition. 

Kirche kann sich nicht neu erfinden. Sie hat den Auftrag des Herrn zu erfüllen, der nicht ins Belieben gestellt ist. Er gilt und steht am Ende des Matthäus Evangeliums (Mt 28, 19-20) unmissverständlich da: 

„Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“  

Den Glauben ins Spiel bringen

Dieser kleine Beitrag versteht sich als inhaltliche Ergänzung bzw. Konkretion bisheriger inhaltlicher Überlegungen anhand einiger Modelle, die sich teilweise gegenseitig ausschließen oder auch ergänzen, und fühlt sich vorrangig dem Schwerpunkt von „Sendung und Sammlung“ verpflichtet: Den Glauben ins Spiel bringen. Denn es wäre fatal, wenn bei allen erforderlichen Überlegungen zu Strukturen, Ressourcen und zeitlichen Abläufen das aus dem Blick gerät, worum es eigentlich geht. Wenn nicht mehr hinreichend gesehen wird, was strukturiert werden soll. Wenn nicht klar ist und klar bleibt, dass alle Überlegungen nur das eine Ziel haben, Glaube, Hoffnung und Liebe zu stärken und zu stützen, dann sind all die vielen Mühen vergebens. Darum halte ich es für zwingend erforderlich – neben all den Fragen der Finanzen, des Personals, der Örtlichkeiten usw. – immer auch und vor allem den Inhalt dessen, worum es im Glauben geht, ausreichend – mindestens in derselben Intensität – mitzudenken. 

Als Kirche dürfen wir uns bei all unserem Tun auf Überlegungen stützen, die vor uns, ja sicherlich auch für uns Glaubenszeugen angestellt haben, um den Glauben – gerade im Gefolge des II. Vatikanischen Konzils – nicht billig an den ‚Zeitgeist‘ anzupassen, sondern „Das Alte neu (zu) sagen“ [2] , damit unsere Botschaft überhaupt ankommen kann.  

Die Chance der „kleinen Herde“

Es gibt zunächst eine recht pessimistische Äußerung, die allerdings dem Zusammenleben kleinerer Gemeinschaften vor Ort viel zutraut. Denn auf die Frage in Bezug auf die Kirche antwortet Eugen Drewermann (*1940):

„Wenn der Zusammenbruch käme oder schon da ist, wäre diese andere Bewegung der Entschlossenen, Jesus auch in dieser Situation zu folgen, besonders wichtig. Es ist mehr denn je dringend notwendig, den Glauben in kleinen Gemeinschaften zu leben…Wo …Menschen einander begegnen in ihrer Brüchigkeit, in ihrer Bereitschaft, zu verstehen und zu begleiten, da wird es konkret, was Jesus gemeint hat…In diesen kleinen Gruppen ist das alles erträglich, mittragbar, miteinander kompatibel…Gott liegt in den Händen der Gemeinde. Das sind konkrete Menschen, Subjekte, nicht Objekte einer amtlich bestellen Seel-Sorge. Wie die miteinander umgehen, das entscheidet über die Nähe Gottes zu den Menschen.“[3]

Unschwer wird man erkennen, dass hier ‚Gräben‘ zur bisherigen Tradition und kirchlichen Praxis vorhanden sind, die zunächst unüberbrückbar scheinen. Die sprachliche Formulierung ist wenig dialogisch, wenn pauschal von „Zusammenbruch“ oder einer „amtlich bestellten Seel-Sorge“ die Rede ist oder davon, dass Gott „in den Händen der Gemeinde“ liegt. Hier bedarf es eines vertieften, klärenden Diskurses. Jedenfalls rät Drewermann, Jesus zu folgen und einander beizustehen. Das wird nicht in Frage zu stellen sein. Doch es wird nicht ausreichen als ‚Kirchendefinition‘. Allerdings, „wo …Menschen einander begegnen in ihrer Brüchigkeit, in ihrer Bereitschaft, zu verstehen und zu begleiten“ ist ein caritativer Grundstein gelegt, ein unverzichtbarer, auf den Kirche nicht verzichten kann. 

Das Unvergleichliche?

Ein anderer Glaubenszeuge ist Hans Urs von Balthasar (1905-1988). Der Verfasser der „Schleifung der Bastionen“(1952) wurde am Ende seines Lebens gefragt, wie heute Verkündigung aussehen kann und aussehen sollte: 

„Sicher ist es heute nötig, eine Anthropologie auszubauen, in der alle Dimensionen entfaltet werden, die von der heutigen Welt entdeckt und ausgebaut werden…gewiss ist eine Anthropologie erfordert, die unserer Zeit angemessen und dabei christlich ist, nämlich angeleuchtet durch das Licht der Offenbarung…Ist der Christ sich der  Unvergleichlichkeit der christlichen Offenbarung bewusst, so kann er sich beim Ausbau der Humanwissenschaften auf die göttliche Kraft der Unterscheidung der Geister verlassen.“[4]

Balthasar war es ein Grundanliegen, bei allen Vermittlungsbemühungen der Verkündigung immer wieder mit Nachdruck auf die „Unvergleichlichkeit der christlichen Offenbarung“ zu insistieren. Er bleibt uns auch die Antwort nicht schuldig, worin er diese Unvergleichlichkeit sieht:  

„Ich denke doch vor allem dadurch, dass man die Leute mit dem unverkürzten Evangelium konfrontiert, mit dem integralen Christus…Eine andere Antwort auf die wesentlichen Fragen der Menschen als die christliche gibt es nicht…die Menschen müssen die Unvergleichlichkeit des Evangeliums mit allem, was ihnen sonst in der Welt begegnen mag, erkennen. In der ganzen Weltgeschichte gibt es nichts mit Jesus Christus Analoges, und es wird auch nie etwas derartiges geben: einen Menschen, der ohne Überheblichkeit mit der Autorität Gottes redet und handelt…Jesu ganze Existenz, sein Arbeiterleben, seine Verkündigung und sein Tod, seine Auferstehung: alles an ihm ist Auslegung Gottes.“[5]

Wie geht man mit solch einer ‚Auskunft‘ um? Sicher, es mag Glaubende geben, die durch diese „Schau der Gestalt“ in ihrem Glaubens- und Lebensvollzug gestärkt werden. Doch was ist mit all den anderen? Hat Jesus uns nicht „zu allen Völkern“ gesandt? So wichtig Balthasars Hinweis ist, am Evangelium keine ‚Abstriche‘ zu machen, so schwierig scheint mir diese Alternative zu sein: Entweder du siehst diese Unvergleichlichkeit – oder du siehst sie nicht! Reinhold Schneider sah in seinem letzten Werk „Winter in Wien“[6], von dem Klaus Hemmerle in „Widerruf oder Vollendung“ meinte, dass es das frömmste Buch sei, das Schneider je geschrieben hat, nicht mehr das Erbarmen Gottes. Er vertraute seinem Tagebuch an, dass er nicht mehr „Vater“ sagen konnte. Dass die Welt für ihn eine „rotierende Hölle“ sei, die Geschichte, die menschliche Existenz, ihm vorkomme wie eine „zerplatzende Granate“, wie eine „Explosion“. Schneider konnte seinen – wie er es nannte – „Glaubensentzug“ nicht verschweigen. Vielleicht war dies sein größtes Zeugnis, das an Jesu letztes Wort am Kreuz erinnert, an den Verlassenheitsschrei. 

In die Welt hineinschauen

Und wer heute in die Welt hineinschaut und ehrlich bleibt, wie sehr kann er Schneiders Welt- und Glaubenserfahrung nachempfinden? Dass er seinen Glauben dieser Welterfahrung aussetzte und diese Erfahrung bezeugte, zeigt in welche Tiefen der Glaube hinabreichen kann. 

Wie gesagt, die „Schau der Gestalt“[7], die „unanfechtbare Identität“, kann hilfreich sein für den, der diese „Schau“ hat. Im Jahr 2012 schrieb ich gemeinsam mit Roman A. Siebenrock hierzu: 

„Balthasars Option unterscheidet sich davon[8] nicht im Auftrag und in der Sendung des Dienstes, sondern in seiner Konzeption der Glaubensidentität, die er …vielfältig bedroht sieht; vor allem durch die Grundstruktur des neuzeitlichen Subjekts. Daher ist die Glaubensvergewisserung in der Schau der Gestalt dem Dienst und dem Dialog vorgängig. Seine Kurzformel könnte lauten: Dialog und Dienst aus unanfechtbarer Identität.“[9]

Rahners Rüstzeug auch heute

Kommen wir zum Konzilstheologen Pater Karl Rahner (1904-1984). Ich verhehle nicht, dass ich fest davon überzeugt bin, dass Karl Rahner gerade auch heute uns das Rüstzeug an die Hand gibt für eine zeitgemäße Verkündigung, die den Glauben nicht nur unverkürzt weitergibt, sondern auch seine Strahlkraft und Freude entfalten kann. Rahners Theologie schöpft nicht nur aus dem großen Reichtum der geistlichen Tradition der Kirche. Er kennt sie so gut, dass er sie für das Hier und Heute quasi ‚aufbereitet‘. Gleichzeitig konfrontiert er den Glauben mit den existentiellen Fragen, Sorgen und Nöten, aber auch mit den Freuden und den positiven Entwicklungen in Wissenschaft und Kultur in unserer Zeit.[10]Nicht, um ein „Glasperlenspiel“[11] zu treiben, sondern um in der Zeitgenossenschaft die Kraft des Glaubens zu erweisen. 

Wer kennt sie nicht, all die Fragen und Nöte von heute? Exemplarisch könnte man an all die vielen Verschwörungsmythen denken, die uns irrezumachen scheinen. Nichts scheint mehr sicher, keinerlei Gewissheit verspricht Halt und Orientierung. Zu jeder Meinung gibt es 1000 andere und jede von ihnen beansprucht Wahrheit für sich im selben Maße. Wem und was kann man noch trauen? Ist Vertrauen nicht Unwissenheit und sträfliche Naivität? Wir dürfen als Glaubende nicht so tun, als gehen uns diese Fragen, Sorgen und Nöte nichts an. 

Aber wie könnte eine Auskunft des Glaubens aussehen. Eine Auskunft, die weiterhilft, die weiterfragt und nicht einem ‚existentiellen Achselzucken‘ weitere Nahrung gibt. Schauen wir also näher zu, was Karl Rahner dazu sagt: 

„Der Christ ist der wahre und radikalste Skeptiker. Denn wenn er an die Unbegreiflichkeit Gottes wirklich glaubt, dann ist er davon überzeugt, dass keine Einzelwahrheit wirklich wahr ist, außer in dem zu ihrem wahren Wesen notwendig gehörenden Vorgang, in dem sie sich selbst in die Frage aufhebt, die unbeantwortet bleibt, weil sie nach Gott und seiner Unbegreiflichkeit fragt. Der Christ ist darum auch der, der mit jener sonst irrsinnig machenden Erfahrung fertig wird, in der man…keine Meinung für ganz richtig und keine Meinung für ganz falsch halten kann.“ [12]

Nicht ganz richtig und nicht ganz falsch

„Der Christ ist darum auch der, der mit jener sonst irrsinnig machenden Erfahrung fertig wird, in der man…keine Meinung für ganz richtig und keine Meinung für ganz falsch halten kann.“ Das ist ein richtiger ‚Brocken‘. Allerdings hilft mir die davor ergangene Auskunft weiter, 

„,dass keine Einzelwahrheit wirklich wahr ist, außer in dem zu ihrem wahren Wesen notwendig gehörenden Vorgang, in dem sie sich selbst in die Frage aufhebt, die unbeantwortet bleibt, weil sie nach Gott und seiner Unbegreiflichkeit fragt.“

Ehre Gottes

Hier ist die Tiefendimension christlichen Glaubens greifbar, wie Rahner sie von seinem Ordensvater Ignatius von Loyola in den Exerzitien gelernt hat: 

Gott ist immer größer als alles, was uns in Beschlag nehmen will.

Die Indifferenz – das Abstandnehmen und Abstand halten zu allem, was sich uns mit absoluter Wucht aufdrängt, seien es Ideologien, Konsum, Luxus oder was auch immer – seien es auch wir selbst mit unseren Ansprüchen und Wünschen – ist immer wieder neu im Leben einzuüben.[13]

Alles geschieht zur Ehre Gottes – das ist das einzige Kriterium, das uns vor Hybris und Weltuntergangsstimmung wirksam zu bewahren vermag. 

Karl Rahner schrieb einmal eine vielbeachtete „Rede des Heiligen Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute“. Die Unterüberschrift lautet: „Das Alte neu sagen.“ Mehrfach hat er sich dazu bekannt, dass dies sein „spirituelles Testament“ sei. [14] Darum soll an dieser Stelle Karl Rahner ausführlich zu Wort kommen. Wenn wir uns in diesen Text vertiefen, können wir gleichsam miterleben, wie Rahner seinen Glauben gerade auch mit all jenen teilt, die bedrängt werden von Einsamkeit und Gefährdung, indem er seinen Glauben ebenfalls diesen Anfechtungen aussetzt und sie- ähnlich wie Reinhold Schneider – nicht verschweigt, sondern bezeugt: 

„Die Einsamkeit vor Gott, das Geborgensein in seiner schweigenden Unmittelbarkeit allein gehört zum Menschen. Und wenn dies zu Beginn der Neuzeit in der Kirche deutlicher geworden ist, dann gehört es zu der Geschichte, die nicht einfach wieder untergeht, …wird es einmal Menschen geben, die grundsätzlich und in jeder Phase ihrer Existenz kein Ohr mehr haben für das Wort: Gott? Wird es einmal Menschen geben, die nicht mehr über dieses und jenes Fragbare in seiner endlosen Vielfalt hinaus nach dem Unsagbaren fragen? Wird es einmal Menschen geben, die sich immer und mit wirklichem Erfolg verbieten, das Geheimnis schlechthin nahe sein zu lassen, das, als Eines und Umfassendes, als Urgrund und Urziel namenlos in ihrem Dasein waltet; das gibt, dass wir lieben ‚Du‘ sagend, uns in seinen Abgrund fallen lassen und so frei werden können? Was wäre, wenn solches möglich und Wirklichkeit würde? 

Nicht zu erschüttern

Mich könnte solches nicht erschüttern. Die Menschen hätten sich dann eben als einzelne oder als Menschheit zu findigen Tieren zurückgekreuzt, und die Geschichte der Menschheit von Freiheit, Verantwortung, Schuld und Vergebung wäre dann eben zu Ende, wobei sich nur die Weise des Endes geändert hätte, das wir als Christen auf jeden Fall erwarten. Die Menschen, die wirklich diese Namen verdienen, hätten doch das ewige Leben gefunden.

Man kann auch in Zukunft von Gott sprechen, wenn man wirklich versteht, was mit diesem Wort gemeint ist, und es wird immer eine Mystik und Mystagogie der unsagbaren Nähe dieses Gottes geben, der das andere von sich geschaffen hat, um sich selber ihm in Liebe als ewiges Leben zu schenken. Die Menschen werden immer angeleitet werden können, die endlichen Götzenbilder, die an ihren Wegen stehen, zu stürzen oder gelassen an ihnen vorbeizugehen, nichts absolut zu setzen, was ihnen als Mächte und Gewalten, als Ideologien, Ziele und Zukünfte einzelner und bestimmter Art begegnet, ‚indifferent‘, ‚gelassen‘ zu werden und so in dieser nur scheinbar leeren Freiheit zu erfahren, was Gott ist. 

Es wird immer Menschen geben … die im Blick auf Jesus den Gekreuzigten und Auferstandenen es wagen, sich an allen Götzen dieser Welt vorbei auf die Unbegreiflichkeit Gottes als Liebe und Erbarmen bedingungslos einzulassen. Es wird immer Menschen geben, die in diesem Glauben an Gott und Jesus Christus sich zur Kirche zusammentun, sie bilden, sie tragen und sie – aushalten…Wenn es immer solche Menschen geben wird, dann werde ich ja immer …eine Sendung an alle Menschen haben. Denn ich wollte ja nur den Menschen helfen, dies zu verstehen und zu ergreifen…auch wenn ich natürlich weiß, dass jeder Mensch das für alle Gültige unvermeidlich nur in seiner Weise weitergeben kann…Der schweigende Untergang könnte die größte Tat sein, so oder so bleibt Gott immer der größere.“ [15]

Die fiktive Rede des Hl. Ignatius, sie gibt sehr genau den Wurzelgrund der Theologie an, aus dem heraus Karl Rahner seinen Glauben lebte und aus dem heraus er seine Glaubensoption in ‚intellektueller Redlichkeit‘ formulieren konnte. Wie kann man Rahners Glaubensoption beschreiben? Eine Option, die für uns hier und heute vor allem auch deshalb von Relevanz ist, weil sie geschwisterlich und ‚intellektuell redlich‘ in einem ist. 

Der Geist des Heiligen Ignatius

„Auf eine Kurzformel gebracht, könnte die Option Rahners lauten: Identität in Dialog und Dienst.“ [16]

Die Option einer glaubensmäßigen Identität in Dialog und Dienst zeigt nicht nur die caritative Dimension des Glaubens. Sie zeigt sich vor allem auch in Rahners geistlichem Schrifttum. Siegfried Hübner leitete für den St. Benno-Verlag Leipzig im Jahr 1990 Karl Rahners Buch „Das große Kirchenjahr“ ein. Er schrieb in seiner Hinführung, dass Rahner überzeugt war, 

„dass es heute erste und letzte Aufgabe christlicher Theologie und Verkündigung sein müsse, von Gott zu reden, ihn zu verkünden als den, der unausweichlich und unverdrängbar uns in unserem Menschsein trägt und umfasst, der sich uns als das ewige Leben gibt und auf den wir uns im Blick auf Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen bedingungslos verlassen können…Deshalb wird alles andere, das wir als Menschen erfahren und erleiden, auf diese Wirklichkeit hin…relativiert, nicht nur alles Menschliche und Weltliche, sondern auch alles ‚Religiöses‘ und Kirchliche, insofern dieses nicht mit Gott identisch ist, sondern nur auf ihn verweist…“[17]

Die Bedrohung des Glaubens

Es geht nach Hübner Karl Rahner vor allem auch darum,

 „die gegenwärtige Bedrohung des Glaubens als eine Herausforderung anzunehmen, die gebietet, aus einer Mentalität herauszuwachsen, die unbedingt ‚am kindlichen Erlebnis des nahen Gottes‘…als ‚Forderung und Bedingung für den Glauben‘ festhalten will, und im Glauben zu reifen in den Gott hinein, der immer größer ist, als es der Glaubende bisher wusste oder ahnte.“[18]

Die Spiritualität des Hl. Ignatius bricht überall in Rahners Theologie durch. Weil sie ehrlich ist, sich nichts vormacht, wirkt sie auch desillusionierend und lässt Ausschau halten, wo wirkliche Antworten zu finden sind, denn sie sieht es  

„als einen verhängnisvollen Irrweg (an), aus einem für den Glauben tödlich erscheinenden ‚Säkularismus‘ in die Geborgenheit eines ausdrücklich ‚religiösen‘ und sich abgrenzen und sichern wollenden kirchlichen Lebens zu fliehen, und will den Glaubenden die Augen dafür öffnen, dass alles auch in dem profansten Leben von der Wirklichkeit Gottes und seiner Liebe durchdrungen ist und als Geschehen des Heiles erkannt und ergriffen werden kann…Deshalb mündet diese Rede von Gott immer wieder in der Verheißung und Aufforderung, ihn im Leben und Bestehen des Alltags zu finden.“ [19]  

Weil Karl Rahners beste Theologie in seinen Meditationen und in seinen Gebeten zu finden ist, weil Theologie nur aus der „Gestimmtheit des Beters“[20] heraus möglich ist und weil bei allen Überlegungen im Reformprojekt von „Sendung und Sammlung“ im Erzbistum Hamburg es entscheidend auf die ‚Laien‘ vor Ort ankommen wird, wie sie ihren ‚Weltauftrag‘ erkennen und anerkennen, darum soll Karl Rahners Gebet eines Laien diese kleine Betrachtung beschließen. 

Gebet eines Laien [21]

„Gott, ich werde immer ein wenig nervös, wenn ich das Wort ‚Laie‘ in der Kirche höre. Wenn sonst von Laien geredet wird, sind solche Leute gemeint, die von einer bestimmten Sache nichts oder sehr wenig verstehen. Ich aber habe Recht und Pflichten, von der Botschaft Jesu und seinem Reich so viel wie möglich zu verstehen…Ich besitze bestimmte …Vollmachten …nicht, und ich habe auch gar kein Verlangen danach, denn so sehr diese auch zu schätzen sein mögen, sie dienen nur der einen Aufgabe, die ich habe: radikal ein Christ zu sein, in dem der Geist Gottes wirkt… Die Amtsträger stehen darum in dem, worauf es allerletztlich ankommt, nicht über, sondern neben mir. Und die Gnade Gottes kommt nicht nur durch die sakramentalen Zeichen, die die Amtsträger verwalten, auf mich zu, sondern bleibt darüber hinaus in der freien Verfügung Gottes, der sie allen schenkt, die ihn darum bitten. Ich weiß, heiliger Gott, dass meine Verantwortung für mein Christsein dadurch nur wächst. Ich muss Rechenschaft darüber geben… Ich muss nicht auf der Kanzel predigen, aber – was schwerer ist – durch mein Leben das Evangelium bezeugen. In einer Umgebung, die weder ausdrücklich das Christliche ablehnt, noch es wirklich liebt, sondern alles Religiöse tabuisiert, fällt es mir Feigem schwer, am rechten Platz und zur rechten Zeit zu zeigen, wer ich bin; dazu zu stehen, dass man mit sich und seinem Leben letztlich doch nur fertig wird, wenn man es auf dich, o Gott, stellt und in deiner Gnade lebt. Mutigere und unbefangenere Christen bezeugen mir, dass man -wenn man gewisse Barrieren überspringt- mit seinem Zeugnis befreiend bei anderen ‚ankommt‘, wo zunächst alle Türen fest verschlossen schienen. Warum bin ich so ängstlich, so feige, wie ich mir ehrlich eingestehen muss? Wörter wie ‚missionarisch‘, ‚apostolisch‘ usw. haben heute einen so betulich altmodischen Geschmack. Aber die Sache selbst? Wenn sie fehlt, ist das nicht ein Anzeichen dafür, dass mein Laienchristentum selber dürftig und schwach ist? Gott, gib mir Mut und Kraft, ein Laie zu werden, der den Namen eines Christen verdient.“ Amen.


[1] Karl Rahner „Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance“, Freiburg-Basel-Wien 1972

[2] Buchtitel von Karl Rahner

[3] Eugen Drewermann im Gespräch mit Michael Albus „Die Stunde des Jeremia – Für eine Kirche, die Jesus nicht verrät“, Ostfildern 2020, S. 181 f 

[4] Hans Urs von Balthasar „Prüfet alles, das Gute behaltet“, Ostfildern 1986, S. 19f

[5] Hans Urs von Balthasar „Prüfet alles, das Gute behaltet“, Ostfildern 1986, S. 42

[6] Reinhold Schneider „Winter in Wien“, Freiburg-Basel-Wien 1958

[7] Nicht zufällig ist dies auch der Titel des ersten Bandes der großen Trilogie Hans Urs von Balthasars

[8] Gemeint ist die Glaubensoption Karl Rahners

[9] Rudolf Hubert-Roman A. Siebenrock in ZKTh, Heft 3, 2012, S. 341

[10]Karl Rahners Zeit ist vorüber. Und sie war eine andere als die heutige Zeit. Das Ausmaß der Digitalisierung und Kommerzialisierung, was heute so beherrschend ist, war zu seiner Zeit und in diesem Ausmaß nicht absehbar. Dennoch ist man immer wieder überrascht, wenn man sieht, wie – fast prophetisch – Texte von ihm tagesaktuell sind und exakt in die heutige Zeit hineinpassen. Immer aber gibt Rahner Hinweise und Impulse, die zu beachten sind und in deren Spuren weiterzugehen, sich allemal lohnt. 

[11] Buchtitel von Hermann Hesse

[12] Karl Rahner „Wagnis des Christen“, Freiburg-Basel-Wien 1974, S. 26

[13] Davon zeugt auch ein Buchtitel Karl Rahners: „Einübung priesterlicher Existenz“, wobei priesterlich bei Karl Rahner ganz entscheidend christlich bedeutet. 

[14] Herbert Vorgrimler „Karl Rahner verstehen“, Freiburg-Basel-Wien 1985, S. 48

[15] Karl Rahner „Das Alte neu sagen – Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute“ – Freiburg-Heidelberg 1982, S. 77ff

[16] Rudolf Hubert-Roman A. Siebenrock in ZKTh, Heft 3, 2012, S. 341

[17] Siegfried Hübner in „Karl Rahner „Das große Kirchenjahr“, Leipzig 1990, S. 12 

[18] Siegfried Hübner in „Karl Rahner „Das große Kirchenjahr“, Leipzig 1990, S. 12

[19] Siegfried Hübner in „Karl Rahner „Das große Kirchenjahr“, Leipzig 1990, S. 13

[20] Ein glücklicher Ausdruck, den Karl Rahner geprägt hat, um deutlich zu machen, dass man eigentlich nie über, sondern nur zu und mit Gott reden kann. 

[21] Karl Rahner „Gebete des Lebens“, Freiburg-Basel-Wien 1984, S. 163 f

Bild von Gary Stearman auf Pixabay

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