Pilgerwallfahrt nach Lübeck im Jahr 2025

Kleine geistliche Nachlese.

Das Bild zeigt die Titelseite des postkartengroßen Pilgerbuches. Oben rechts das Logo des Erzbistums Hanburg, darunter die Silhouette der Lübecker Kirche Herz Jesu. Text: Pilgern auf den Spuren der Lübecker Märtyrer.

Die diesjährige Pilgertour mit dem Fahrrad von Schwerin nach Lübeck über Rehna war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Die Tour mit einigen Anstiegen war für jene, die kein E-Bike hatten, durchaus anspruchsvoll. Die Anstrengungen wurden belohnt durch grandiose Blicke in eine wunderschöne Landschaft mit alten Dorfkirchen, wogenden Ährenfeldern, vor allem durch Begegnungen und Austausch. Für mich war diese Pilgertour auch eine ‚Einkehr‘ bei mir selbst. Und ich möchte gerne Euch/ Ihnen etwas mitteilen, was mich beschäftigt hat auf dieser Pilgertour, welche Gedanken mir kamen, was mich nachdenklich(er) werden ließ. Ich teile dies auch deshalb mit, weil unser Erzbischof uns im Hirtenwort 2025 zum Ansgarfest ausdrücklich ermutigt hat, über den Glauben zu sprechen, uns auszutauschen, damit wir uns gegenseitig stützen und stärken.  

Der zentrale Wallfahrtsort

Ich bin sehr froh, dass wir die seligen Lübecker Märtyrer bei uns haben. Dass wir auf solche Glaubenszeugen verweisen können, die in dunkler Zeit ‚Leuchttürme‘ waren. Die Orientierung boten aus dem Glauben heraus, wo alles fragwürdig schien, wo scheinbar nichts mehr in Geltung war, was mit Menschlichkeit zu tun hatte. Ich werbe sehr darum, dass Lübeck als DER zentrale Wallfahrtsort unseres Erzbistums Hamburg geschätzt und auch neu entdeckt wird. Warum? Weil ich glaube, dass wir – gerade heute, hier im Norden, im Erzbistum Hamburg – sehr viel lernen können vom Lebens- und Glaubenszeugnis unserer seligen Lübecker Märtyrer. 

Mir haben sich auf dieser Fahrt drei Fragen mit Macht aufgedrängt: 

  • Was gilt heute überhaupt noch?
  • Wie ist das mit dem Frieden heute angesichts barbarischer Kriege?
  • Wo kommt mir Hoffnung her? 

Was gilt heute überhaupt noch?

Angesichts von Fake News, von Verschwörungsmythen, von einem scheinbar abgrundtiefen Misstrauen gegenüber allem, das um sich greift und sich äußert in Wahlergebnissen, die mich z. T. sprach- und fassungslos machen, schaue ich aus nach Leuchttürmen, die mir einen Weg weisen können. Wie ich mich heute mitunter fühle, hat sehr einfühlsam Hans Urs von Balthasar (1905-1988) beschrieben: 

„Die Christen erleben, wie keine Generation zuvor, wie zweideutig aller irdischer Fortschritt ist, wie leicht und beinah automatisch die Werkzeuge, die dem Menschen die Herrschaft über Zeit und Raum einhändigen, ihn selbst unversehens in Ketten schlagen und entmenschen. Und je mehr materielle Macht ihm zufällt, desto mehr ballen sich die Machtblöcke – notwendig gegeneinander.“ 1

Auch Karl Rahner (1904-1984) hat vielfältige Erfahrungen ebenfalls in Worte gefasst, die vielleicht den ‚Zeitgeist‘ widerspiegeln, der heute allenthalben uns – auch in der Kirche –  zu schaffen macht. Bemerkenswert ist an dieser Überlegung, dass sie in einer Meditation über den Heiligen Geist angestellt werden. Ich bin mir sicher, dass der tiefe Glaube der Lübecker Märtyrer auch ihnen geholfen hat, sich nicht vom Einzelnen gefangen nehmen zu lassen, auch wenn es sich in noch so allmächtig scheinender Fassade gehüllt hat. 

„Da ist einer, der erfährt, dass seine schärfsten Begriffe und intellektuellsten Denkoperationen auseinanderfallen, dass die Einheit des Bewusstseins und des Gewussten im Zerbrechen aller Systeme nur noch im Schmerz besteht, mit der unermesslichen Vielfalt der Fragen nicht mehr fertig zu werden und sich doch nicht an das klar Gewusste der Einzelerfahrungen und der Wissenschaften halten zu dürfen und halten zu können.“ 2

Sich nicht an das „klar Gewusste der Einzelerfahrungen“ halten zu dürfen – das ist der Grund unserer Hoffnung. Denn: „Gott ist immer größer“ – diese Glaubenserfahrung macht auch heute Mut und schenkt Zuversicht. 

Unser Erzbischof sprach in seiner Predigt von Begegnungen, von Hoffnungsorten und Hoffnungsworten. Ja, das ist unbestritten: Unsere Zeit, wir alle miteinander, brauchen diese Orte und Worte, wir brauchen uns gegenseitig, um uns zu vergewissern, dass wir auf einem Weg sind, der nicht in die Irre führt, der ein Ziel hat, für das sich jede Anstrengung lohnt. Nur gemeinsam, aus Hoffnung und Glauben heraus, können wir die Liebe bezeugen, die uns geschenkt wurde. Sie ist nicht ‚machbar‘ im Sinn von ‚produzieren‘. Sie kann nur dankbar empfangen werden. Und diese Dankbarkeit schafft sich Ausdruck im Weitergeben. Nur so ist auch gerechter Friede möglich. 

Wie ist das mit dem Frieden heute angesichts barbarischer Kriege?

Angesichts der Gräuel in der Ukraine, die von Aggressoren gegen unschuldige Menschen tagtäglich verübt werden, angesichts von Gräueln überall auf dieser Erde – im Sudan, im Jemen, in Syrien, im Iran, diese unselige Reihe ließe sich beliebig verlängern – drängt sich die Frage auf, wie das zusammengeht: Friede und Glaube. Ich bin mir sicher, dass diese Frage auch die Frage unserer seligen Lübecker Märtyrer war, die sie – sicherlich nicht nur einmal – an Gott richteten. 

„Was trägt die Botschaft Jesu dazu bei, Frieden zu schaffen?…  Das Unheimliche am Krieg ist, dass man die soziale Komponente der Psychologie, die Gruppendynamik, vor Augen sehen muss. Am Ende tun Menschen für ihre Gruppe die ungeheuerlichsten Dinge, aber sie tun sie mit dem Impuls der Kameradschaft, der Treue, der Hingabe, des Pflichtgefühls, mit lauter ethisch hochrangigen Motiven. Diese Missbrauchbarkeit im Ganzen muss deutlich werden, und da ist die Botschaft Jesu sehr wichtig: Es gibt kein Volk, das sich absolut setzen dürfte, keine Gottheit, die Nationalegoismen unterstütze könnte.  Es gibt nicht ‚unseren‘ Gott. Es gibt keinen gruppenspezifischen Gott, es gibt nur einen Gott für alle Menschen. Das ist Religion…Noch einen Schritt weiter…muss man sich um die Wirtschaftsstruktur kümmern. Auch da hat Jesus zum Reichtum und zum Geld kräftigere Worte gefunden als über den Teufel. Wie kann man eine Wirtschaftsform im Sinne Jesu aufbauen, so dass wir nicht die aggressivste Wirtschaftsform in Gestalt des Kapitalismus erhalten müssen im Aberglauben, am Ende Frieden erwarten zu können? 3

Ich bin Eugen Drewermann (geb. 1940) dankbar für diese Worte, für diese Hinweise auf die Frage, was Jesus Botschaft dazu beiträgt, mitzuwirken an einem gerechten und dauerhaften Frieden, der im Kleinen, im Hier und Heute, in der Gesellschaft, auch in der kirchlichen Gemeinschaft, immer wieder neu gesucht und gestaltet werden muss. 

Wo kommt mir Hoffnung her? 

Hoffnung stellt sich nicht einfach ein. Ich glaube auch, dass in den Zellen der Gestapo Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sich abgewechselt haben. Es gibt sie, die Erfahrung der ‚Gottesferne‘. Und vielleicht ist unsere Zeit heute geprägt von einem gravierenden Desinteresse an der Gottesfrage. Umso mehr brauchen wir diese ‚Leuchttürme‘ in dunkler Zeit. Denn was rasch übersehen – umso schneller aber erfahren werden kann – ist der fatale Zusammenhang zwischen dem Ausfall der Gottesfrage und dem Ausfall des Menschseins. Dabei kann dies leise geschehen, ohne Lärm: Wenn keine Frage mehr gestellt wird, weil scheinbar alles gewusst wird und scheinbar alles machbar ist, wenn alles erlaubt zu sein scheint – dann droht die Gefahr, dass der Mensch zur beliebigen Ware degradiert wird. Dann ist er nur noch Konsument, Kostenfaktor, mitunter Störfaktor, der dann möglichst rasch beseitigt werden sollte. So verstanden die Nazis auch ihr Verhalten gegenüber ‚lebensunwertem Leben‘, so begründeten sie die Vernichtung der Menschen jüdischen Glaubens als ‚Schädlingsbekämpfung‘. Und dagegen standen unsere seligen Lübecker Märtyrer auf! Dafür standen sie mit ihrem Leben ein! 

Diese und ähnliche Gedanken gingen mir durch den Kopf. Ich bin unendlich dankbar für die klare und unmissverständliche Haltung der seligen Lübecker Märtyrer, die mir auch heute noch Richtschnur ist, wenn von ‚Flüchtlingswelle‘, von ‚Überfremdung‘ von ‚Umvolkung‘ die Rede ist. Überall dort, wo die menschliche Würde angetastet wird, wo das „Ebenbild Gottes“ aus dem Blickfeld gerät, müssen wir als Christen heute aufstehen. Mutig und entschlossen! Glaube bedarf dabei keinerlei ‚dogmatischer Höchstleistungen‘, denn Gottes Geist ist jedem in‘ s Herz gegeben. SEIN Geist gibt uns jenen Mut und jene Klarheit, die unsere Märtyrer mit dem Leben bezeugten. Glaube ist alles andere als eine wirkungslose Illusion oder eine verbale Ausflucht. Glaube ist eine lebensprägende Kraft – damals und auch heute, denn: 

„Wer vor die Gräber von Auschwitz oder Bangla Desh oder andere Mahnmale der Absurdität des menschlichen Lebens tritt und es fertigbringt, weder davonzulaufen (weil er diese Absurdität nicht aushalten kann) noch zynisch zu verzweifeln, der glaubt, auch wenn sein Verstand stillsteht, an das, was wir Christen das ewige Leben nennen… Man kann radikale Liebe, Treue und Verantwortung, die sich nie ‚rentieren‘, leben und ‚meinen‘, alles menschliche Leben verschwinde im sinnlosen Nichts, aber im Akt solcher Lebenstat selbst ist diese Meinung nicht enthalten, und sie widerspricht dem, was man tut. Solche Grundtaten des Lebens setzen die Hoffnung auf Endgültigkeit… bejahen die erste und letzte Voraussetzung solcher Hoffnung, die wir Gott nennen.“ 4


  1. Hans Urs von Balthasar „Kleine Fibel für verunsicherte Laien“, Einsiedeln, Trier 1989, S. 98 ff ↩︎
  2. Karl Rahner „Erfahrung des Geistes“, Freiburg, 1977, 2. Auflage, S. 41 ↩︎
  3. Eugen Drewermann „Wir glauben, weil wir lieben“, Patmos, Ostfildern 2010, S. 188 f ↩︎
  4. SW 23, S. 409-415, ursprünglich aus Karl Rahner „Das große Kirchenjahr“, Freiburg im Breisgau 1987, Leipzig 1990, S. 271 ↩︎

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