Mein Leben in und mit der Caritas

Herkunft

Mein Name ist Rudolf Hubert, geb. 1958, ich bin verheiratet, habe 4 Kinder und mittlerweile 6 Enkel. Ich war zunächst Fürsorger im kirchlichen Dienst, dann viele Jahre Kreisgeschäftsführer eines rechtlich unselbständigen Kreisverbandes der Caritas Mecklenburg e. V. und ab 2019 bis zum Jahresende 2024 Referent für Caritaspastoral in der Caritas für das Erzbistum Hamburg. 

Ich stamme aus einer Kleinstadt im Norden

Mein persönlicher Werdegang ist recht einfach zu beschreiben. Ich stamme aus einer Kleinstadt im Norden, bin aufgewachsen in der DDR. Meine Eltern hatten 5 Kinder; eine Schwester hat eine geistige Behinderung, so dass ich früh lernte, dass das Leben manche zusätzlichen Schwierigkeiten bereithält und nicht ‚alle Blütenträume reifen‘. Ich bin heute unseren Eltern sehr dankbar für die kirchliche Erziehung in einer atheistischen Um- und Mitwelt. Auch für ihr Beispiel im Umgang mit Menschen mit einer Behinderung. So konnte ich früh ‚Caritas-Luft‘ schnuppern und bin sehr froh darüber, dass meine Schwester heute in einer Caritas-Einrichtung lebt, die sie als ihr Zuhause bezeichnet und dass meine Frau und ich für sie als rechtliche Betreuer da sein dürfen.  

Ursprünglich war bei mir nach Abschluss der 10. Klasse in der DDR eine Ausbildung bei der Deutschen Reichsbahn geplant mit Abitur, weil wegen der fehlenden ‚Jugendweihe‘ ich für die Erweiterte Oberschule (EOS), also die Gymnasialstufe, zunächst nicht in Frage kam. Weil dies nach Aussagen unseres Staatsbürgerkundelehrers aussichtlos war, habe ich hierfür auch keinen Antrag gestellt. Als allerdings auf der EOS in Hagenow deutlich wurde, dass einige den Leistungsanforderungen nicht gerecht wurden und die EOS nach Abschluss der 10.Klasse wieder verlassen mussten, suchte man ‚Kandidaten‘ in den Polytechnischen Schulen (POS) des Kreises, die als ‚Nachrücker‘ die 11./12. Klasse hin zum Abitur absolvierten. Als man in der „Lenin-Oberschule“ Wittenburg dann auf mich kam, war die erste Aussage des Direktors: „Das geht nicht, Rudolf hat ein falsches Bewusstsein, was ja genügend zum Ausdruck kam bei der Nichtteilnahme an der ‚Jugendweihe‘. Mein Klassenlehrer, ein äußerst sympathischer und empathischer Mensch, der zudem bekennender Christ war, antwortete schlagfertig: „Dann muss er doch erst recht dorthin, damit er das ‚richtige Bewusstsein‘ erhält.“ Die Antwort des Direktors, die mir mein Klassenlehrer rasch mitteilte, war aufschlussreich, denn er sagte: „Gut, dann weiß ich ja, was ich dem Parteisekretär zu sagen habe.“ 

Verlier´ deinen Glauben nicht

So kam ich merkwürdigerweise ohne Jugendweihe und ohne formellen Antrag zur EOS. Für mich am beeindruckendsten war das Verhalten meines Klassenlehrers bei diesem Vorgang. Bei der Übergabe der Zeugnisse zum Abschluss der 10.Klasse drückte er mir fest die Hand, schaute mir in die Augen und sagte – nicht etwa Herzlichen Glückwunsch – sondern: „Rudolf, verlier‘ deinen Glauben nicht. Und wenn du Fragen hast, dann komm‘ zu mir.“ Noch heute, wenn ich daran denke, bin ich ergriffen von dieser Weichenstellung für mein ganzes  Leben. 

Als ich mein Abitur im Jahr 1977 abschloss, war für mich eigentlich klar: Ich möchte bei der Kirche arbeiten. Dafür bedurfte es allerdings einer abgeschlossenen Berufsausbildung, denn die Kirche, einschließlich ihrer Caritas in der DDR, hatte Sorge, dass der Staat die Rechte der kirchlichen Institutionen beschneidet. Darum sollte jeder, der in den kirchlichen Dienst wollte, insoweit abgesichert sein, dass er im Notfall in seinen früheren Beruf wechseln konnte. Mit meinem Abitur ging das allerdings nicht, denn die EOS bildete so genannte fachliche und politische Kader aus, d. h. es ging gar nicht an, dass man ein Studium nicht antrat. Als ich meinen Wunsch nach einer Berufsausbildung vortrug, war der Kommentar des Direktors, des Klassenleiters und des Parteisekretärs eindeutig: „Herr Hubert, der Staat hat Hoffnungen in sie gesetzt als zukünftiger Kader, die Ausbildung hat er vollumfänglich finanziert. Jetzt ist es an ihnen, dem Staat etwas zurückzugeben!“ Das hat gesessen, wie man so sagt. Und ich konnte ja nicht sagen, dass ich nur deshalb nicht studieren wollte, weil ich meine Lebensaufgabe bei der Kirche sah. Diese wiederum sah einen Berufsabschluss zwingend aus o.g. Gründen vor. Mir war allerdings schon zu diesem Zeitpunkt ziemlich klar, dass ich nach 5 Jahren Studium plus einer so genannten ‚Absolventenbindung‘ an den ‚Trägerbetrieb‘ im Alter von ca. 30 Jahren nicht noch einmal beim sprichwörtlichen Punkt 0 anfangen werde mit irgendeiner kirchlichen Ausbildung. 

Fürsorger

Meine Situation war also prekär und auch mit erheblichen innerfamiliären Konflikten verbunden, weil ich entschlossen war, nach dem Pflichtwehrdienst bei der NVA, das zunächst angegebene Studium nicht anzutreten und mich auf das Risiko einzulassen, nach einem einjährigen Vorpraktikum in insgesamt acht kirchlichen Diensten und Einrichtungen mich in die kirchlich – caritative Fürsorger – Ausbildung durch die Diözese delegieren zu lassen. Froh war ich, dass die Kirche mit ihrer Caritas in Mecklenburg das Risiko mit mir einging. Und so kam es, dass ich in Magdeburg, in der Fürsorger-Ausbildung, der einzigen für die gesamte DDR seinerzeit, der einzige in der Ausbildung war ohne beruflichen Abschluss. Hinzu kommt, dass diese Ausbildung dem Grunde nach eine westliche Fachhochschul-Ausbildung war und darum, u.a. wegen der fehlenden Ausbildung in Marxismus – Leninismus, keine staatliche Anerkennung erhielt. Wenn die DDR der Kirche die Tätigkeit im caritativen Bereich untersagt hätte, wäre ich nach Vorpraktikum, Studium und Anerkennungsjahr ohne jeden Abschluss. So hieß denn auch meine erste Berufsbezeichnung „Fürsorger im kirchlichen Dienst.“ Von daher kann ich heute meinen Vater mit seiner Skepsis absolut verstehen. Dies umso mehr als er mir – schon zu Beginn des Vorpraktikums – deutlich sagte, dass er mich versteht und mir vertraut. Für dieses Zu- und Vertrauen werde ich meinen beiden lieben Eltern immer dankbar sein. Und so kam es, dass ich nach dem Anerkennungsjahr zunächst bis zur Wende als so genannter Dekanatsfürsorger für das ehemalige Dekanat Schwerin in den Gemeinden tätig war und mithalf bei Kindertagen, Seniorennachmittagen, in Einzelfällen bei Mietfragen, bei politischen Überlegungen wie der Ausreise in den ‚Westen‘ oder bei Heimaufnahmen usw. Mein Dienstgeber war die Kirche, der ich auch insofern dankbar bin, dass ich in einer Gemeinde, im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit, meine Frau Maria kennenlernte. 

Die gesellschaftliche Wende 1989/90

Diese Situation änderte sich schlagartig durch die gesellschaftliche Wende 1989/90. Nachdem wir Fortbildungen und Prüfungen in jenen Fächern absolvierten, die wir in der DDR nicht kennengelernt hatten, beispielsweise das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das Bundessozialhilfegesetz, das Kinder-Jugendhilfegesetz, Fragen zur Verwaltung usw.  erhielten die Absolventen des Fürsorger Seminars Magdeburg – das nach der Wende aufging in der KFH Berlin – Karlshorst – auf Antrag auch das Diplom und die staatliche Anerkennung. Darum bin ich tatsächlich seit über 45 Jahren bei der Caritas beschäftigt – und nur bei der Caritas. Aus einsichtigen Gründen wurden Vorpraktikum, Studium und Anerkennungsjahr im kirchlichen Dienst als Dienstverträge abgeschlossen. Das war sicherlich in den Anfangsjahren eine finanziell schwierige Situation, die keine ‚großen Sprünge‘ erlaubte. Von der rechtlichen Absicherung her und auch für die Rente war dieses Verfahren jedoch umsichtig und von einer ‚strategischen Verantwortung‘ geprägt, für die ich heute noch sehr dankbar bin.  

Mein Beruf und neue Strukturen

Von Beruf bin ich also Diplom – Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, zwischenzeitlich habe ich zusätzlich eine Qualifikation vor der IHK Schleswig-Holstein zum Betriebswirt erworben und theologisch habe ich ein siebenjähriges Fernstudium absolviert mit dem Abschluss der Lehrbefähigung für die Erwachsenenbildung (Ordinariat Berlin).

Die Tätigkeit als Dekanatsfürsorger der Caritas in der DDR veränderte sich nach der gesellschaftlichen Wende radikal: Es mussten neue Strukturen in der Wohlfahrtspflege aufgebaut werden, u.a. rechtlich unselbständige Kreisverbände in der Caritas Mecklenburg e. V. Das hatte vorrangig pastorale Gründe, um in der ausgeprägten Diasporasituation keine Zersplitterung zu zulassen. So wurde ich nach Gründung der Caritas Mecklenburg e. V. zunächst Kreisgeschäftsführer für den Kreisverband Schwerin, der später fusionierte mit dem Kreisverband Südwestmecklenburg zum Kreisverband Westmecklenburg, der die heutigen Landkreise Nordwestmecklenburg, Ludwigslust-Parchim und die Landeshauptstadt Schwerin umfasst mit den Pfarreien, Gemeinden und caritativen Diensten und Einrichtungen. 

Die Fusion der Landes-Caritasverbände von Mecklenburg, Schleswig – Holstein und Hamburg sowie des Caritasverbandes Lübeck e. V. zur Caritas für das Erzbistum Hamburg e. V. erfolgte im Jahr 2018. Die einzige juristische Trägerschaft der Caritas über drei Bundesländer hinweg hat sowohl strategische als auch pastorale Gründe: Maßnahmen des Controllings sind so besser zu handhaben und der faire, übergreifende Austausch zwischen Geschäftsbereichen der operativen Ebene mit dem Spitzenverband schafft Synergien in Bereichen wie Fundraising, Projekt- und Konzeptentwicklung und dergleichen mehr. Die Caritaspastoral hat in dieser Struktur begleitende, initiierende und strukturierende Aufgaben, um ein partnerschaftliches Miteinander zwischen verbandlicher und gemeindlicher Caritas zu befördern. Aufgaben im Bereich der Ökumene und des interreligiösen Dialogs nehmen stetig zu. Sie sind ebenfalls nur zu leisten in dem einen Verband, und zwar in enger Abstimmung mit der Prävention und den Migrationsdiensten. Hinzu kommt in der Mitarbeitenden-Seelsorge der Umstand, dass zunehmend Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer in der Caritas tätig sind, die behutsam mit kirchlichem Denken und kirchlichen Strukturen vertraut gemacht werden.

Karl Rahner

Hier kommt übrigens für mich die Theologie Karl Rahners in‘ s Spiel. Dazu vielleicht nur folgende biografische Episode: Seit meiner Jugend hat mich die Theologie Karl Rahners begleitet. Sie hat mir wesentlich geholfen, in einer Gesellschaftsordnung, für die Religion von Staats wegen „Opium des Volkes“ war, einen Glauben „in intellektueller Redlichkeit“ zu leben. 

Was heißt das konkret? Auf der EOS lernte ich die ‚Materiedefinition‘ Lenins kennen. Materie, so Lenin, sei die einzige, unabhängig vom Bewusstsein existierende Realität. Mit siegessicherem Lächeln sagte unser Philosophielehrer seinerzeit, dass der Marxismus – Leninismus nicht nur Religion als unwissenschaftlich ablehnt. Das ohnehin, doch der dialektische und historische Materialismus sei sogar in der Lage, zu beweisen, dass es Gott gar nicht geben kann. Das traf- und schmerzte. Umso mehr, als meine Eltern zwar sagten, dass das alles ‚Blödsinn‘ sei. Warum das aber so ist, sagten sie nicht. Und mein Heimatpfarrer, dem ich wohl mit meinen Fragen allzu sehr auf die Nerven ging, gab mir ein kleines Büchlein, das ich heute noch (mit vielen Anstrichen und Anmerkungen) besitze. Es trägt den Titel: „Von der Not und dem Segen des Gebetes.“ Es stammte von einem gewissen Karl Rahner. Unser Heimatpfarrer – ein wunderbarer Pädagoge – sprach zu mir in ernstem Ton: „Rudi, lies das. Wenn du es nicht gleich verstehst, lies es noch einmal. Vielleicht musst du sogar ein drittes Mal dich daran versuchen. Erst wenn du gar nichts damit anfangen kannst, aber erst dann, kommst du wieder zu mir. Dann reden wir darüber. Der Karl Rahner schreibt lange Sätze und will sich nach allen Seiten immer absichern.“

Gottes Geist als Glaubenshilfe

Das hatte meinen jugendlichen Ehrgeiz geweckt. Ich kann hier nicht alle Einzelheiten beschreiben, die mich damals umtrieben, aber im zweiten Kapitel mit dem zunächst merkwürdig anmutenden Titel (Erst später wurde mir klar, wie unersetzlich, ja konstitutiv Gottes Geist als Glaubenshilfe ist!) „Der Helfer – Geist“ gab es eine fantastische ‚Zeitdiagnose‘, die mit dem Fazit endete: „Weiß der Mensch von heute aus sich wirklich mehr von sich, als dass er eine Frage ist…die nur weiß, dass die Last der Fragwürdigkeit bitterer ist, als dass der Mensch sie auf die Dauer erträgt.“ Schlagartig wurde mir deutlich, dass all das Gerede von der ‚wissenschaftlichen Weltanschauung‘ hohl und leer ist, nichtssagend. Hier ist jemand, der mich versteht. Viel besser, als ich es mir selbst einzugestehen wagte. Das zog sich durch das gesamte Buch. Und mir ging es genauso, wie es der Psychoanalytiker (!) Albert Görres einmal treffend beschrieb: Weil Rahner so tief verstehen konnte, wurde er, Görres, „rahnersüchtig“, wie ein Drogenabhängiger von der nächsten Spritze. 

In der Einleitung zu Rahners Long- und Bestseller „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ im Jahr 2004 konnte ich meine Erfahrungen mit dieser Theologie beschreiben. Vertieft habe ich diese und auch heutige Erfahrungen in Theologie und Kirche in meinem Buch „Im Geheimnis leben – Zu Leben und Glauben in der Spur Karl Rahners SJ ermutigen“, das 2013 erschien. 2018 erschien von mir das Buch „Wo alle anderen Sterne verlöschen“. (Echter-Würzburg)

Von mir sind außerdem Aufsätze und kleinere Bücher zu theologischen Ansätzen und Impulsen von Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Eugen Drewermann und Reinhold Schneider im Laufe der Jahre im Adlerstein – Verlag erschienen. Dort konnte ich auch im Rahmen des Interreligiösen Dialogs Schwerin ein kleines Gebetbüchlein mit veröffentlichen: „Gebete und Meditationen – Beten in Gemeinschaft anderer Beter.“ Neuerdings sind meine Bücher und Impulse auf der eigenen Website www.rudolfhubert.de  gut zu finden, ebenso auf der Seite Caritaspastoral der Caritas für das Erzbistum Hamburg.

Warum Karl Rahner heute und morgen?

Papst Benedikt schrieb als Theologe Joseph Ratzinger einmal in „Wendezeit für Europa“ angesichts des Ausfalls des Religiösen im politischen Raum:

„Die Erfahrung der Unerlöstheit, der Entfremdung verstärkt sich, und die Erfüllung, die jenseits nicht sein kann und die von keiner Gnade geschenkt wird, muss nun in dieser Welt durch eigenes Handeln bewerkstelligt werden. Damit wird aber an die Politik eine Erwartung geknüpft, der sie nicht entsprechen kann. Die zur Politik gewordene Religion überfordert die Politik und wird damit zu einer Quelle der Desintegration des Menschen in der Gesellschaft.“ [1]

In diesen Raum hinein sprechen die Impulse Karl Rahners. Ich kann nur auf einige wenige andeutend hinweisen in der Hoffnung, dass dieser Theologe von möglichst Vielen als ‚Glaubenshelfer‘ ( Karl Pfleger) entdeckt wird. Dies umso mehr als Karl Rahner nie irgendeine Originalität für sich beanspruchte, sondern immer wieder auf die ganz normale, kirchliche ‚Schultheologie‘ insistierte 

Verdankte Existenz

Beginnen möchte ich mit einem frühen Gebetswort Rahners. Es ist so recht ein Gegenstück zum neuzeitlich wirkmächtigen „Ich denke, also bin ich“ und kann etwas vermitteln von dem, was allem Glauben zugrunde liegt: Wir sind vor allem eine verdankte Existenz.  

„Was habe ich also anders dir von dir zu sagen, als dass du der bist, ohne den ich nicht sein kann, als dass du die Unendlichkeit bist, in der allein ich, Mensch der Endlichkeit, zu leben vermag? … ich bin der, der sich nicht selbst gehört, sondern dir. Mehr weiß ich nicht von mir, mehr nicht von dir – Du -, Gott meines Lebens, Unendlichkeit meiner Endlichkeit.“[2]

Wie leben wir vertrauensvoll und verantwortlich unseren Glauben inmitten einer Umwelt, die oftmals die Frage nach Gott nicht (mehr) stellt? Dazu die Antwort Karl Rahners:

„Rahner ist der Theologe der Universalität der Gnade. Man wird diesen Ehrentitel auch anderen Theologen des 20. Jahrhunderts geben können…Aber der Rahnersche Duktus ist gerade darin ganz spezifisch, dass er sich diesem großen Thema, dem universalen Heilswillen Gottes…in der Banalität des Alltags widmet … Dass die Tiefe des Menschlichen und des Christlichen nicht voneinander zu trennen sind, ist für Rahner eine theologische Kernaussage.“[3]

„Das >unterscheidend Christliche< nach Rahner ist das allen Menschen von Gott angebotene, seine Gnade. Während, so kann man sagen, sich andere Identitäten durch Abgrenzungen bestimmen, ist das Christliche als das Gemeinsame aller Menschen auf Grund ihrer Herkunft und Zukunft in Gott auszulegen.“ [4]

Rahner und die Caritas

Und welche Bedeutung hat Karl Rahner konkret für die Caritas? Er hat sich nicht nur vielfach zu Themen wie der Gefängnisseelsorge, der Bahnhofsmission, zur Theologie des Buches und des Kindes geäußert. Er hat Grundlegendes gesagt zur Kirche als „dienende Gemeinschaft“ (so Erzbischof Stefan im Hirtenwort 2022, anlässlich des Ansgar-Festes): 

„Das letzte Wort der Theologie an den Menschen ist nicht die theoretische Spekulation über das Maß an Freiheit und Verantwortlichkeit in Einzelfällen, sondern die Zusage, dass sich Gott in seiner Gnade dem Menschen zu liebender Nähe anbietet und auch die akthafte Annahme seiner Selbstmitteilung in der personalen Liebesekstase noch von Gott ermöglichend getragen ist.“[5]

Das letzte Wort der Theologie Karl Rahners als anthropologischer ist die mystagogische Aufforderung, die Nächstenliebe zu vollziehen als Verähnlichung Christi und als Erfüllung des Begriffes, den Gott mit seiner Inkarnation vom Menschen gebildet hat.“[6]

 „Die Theologie ist der die ganze Existenz kostende Aufwand, die Geheimnishaftigkeit Gottes als vom Menschen anzunehmende zu verteidigen gegenüber dem hybriden Zugriff auf Gott. Damit ist aber die Theologie als unter dem Gesetz der Analogie stehende notwendig ein schmerzhaftes Tun.“ [7]

Sendung und Sammlung

Noch einmal und schlussendlich: Warum Karl Rahner? In der Antwort auf diese Frage sehe ich auch die künftige Bedeutung Rahners für die Caritas, für die Pastoral in unserem Projekt „Sendung und Sammlung“.  Diese Frage kann niemand besser beantworten als Karl Rahner selbst. Darum gebührt ihm auch das letzte Wort in dieser Angelegenheit: 

„Alles Kirchliche, also alles Institutionelle, Rechtliche, Sakramentale, alles Wort, aller Betrieb in der Kirche und also auch alle Reform von all diesem Kirchlichen ist im letzten Verstand und in der letzten Absicht, so es sich nur selber richtig begreift und sich nicht selbst vergötzt, reiner Dienst, bloße Hilfestellung, für etwas ganz anderes, etwas ganz Einfaches und so gerade unbegreiflich Schweres und Seliges zumal: für Glaube, Hoffnung und Liebe in den Herzen aller Menschen.“[8]


[1] Joseph Ratzinger „Wendezeit für Europa, Freiburg 1992, S. 113

[2] „Beten mit Karl Rahner“, Band 2 „Gebete des Lebens“, Freiburg-Basel-Wien 2004, S. 27

[3] Albert Raffelt in „Von der Gnade des Alltags“, Freiburg-Basel-Wien 2006, S. 81-86

[4] Roman A. Siebenrock in „Nach Rahner“ – post et secundum, Köln 2004, S. 86

[5] Ralf Miggelbrink „Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug“, Altenberge 1989, S. 148

[6] Ralf Miggelbrink „Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug“, Altenberge 1989, S. 317

[7] Ralf Miggelbrink „Ekstatische Gottesliebe im tätigen Weltbezug“, Altenberge 1989, S.70

[8]Karl Rahner „Das Konzil – ein neuer Beginn“, mit einer Hinführung von Karl Kardinal Lehmann, herausgegeben von Andreas R. Batlogg und Albert Raffelt, Freiburg-Basel-Wien 2012, S.52– Der Text des Vortrages von Karl Rahner ist auch abgedruckt in Rahners SW, 21/2, S. 775 ff

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