„Letztlich gibt es nur diese Alternative…“

Eine denkwürdige Unterhaltung

Unlängst wohnte ich rein zufällig auf einer Bank, beim Warten auf die Straßenbahn auf einem zentralen Platz in unserer Stadt, einem denk- und merkwürdigen Gespräch bei. Zwei jüngere Leute, zwei Männer, unterhielten sich; nachher setzte sich noch eine dritte Person, eine Frau, zu ihnen. Es war offensichtlich, dass sie berauschende Mittel zu sich genommen hatten, ihr Tonfall war sehr derb und grob. Das ist jedoch nur eine formelle Wiedergabe; irritierend, ja schockierend war für mich der Inhalt dieses ‚Gespräches‘, das ich deshalb in Anführungsstriche setze, weil es schlussendlich in ein einziges pauschales Fluchen und Verfluchen überging. Ich verschweige nicht, dass mir diese Unterredung nicht nur sehr unangenehm war. Ich fühlte mich weder dazu imstande, etwas zu sagen oder in das Gespräch einzugreifen. Es war die eigene Hilflosigkeit, die ich spürte, die viele Fragen bei mir aufwarf. 

Ich versuche im Nachfolgenden dieses Gespräch noch einmal einzufangen. Es begann mit der einfachen Frage: 

„He, wie geht‘ s?“ „Hm, was fragst du so blöd, das siehst du doch. Es ist alles eine einzige große Sch…“  „Wieso denn das?“ „Na ja, die wollen, dass ich solche Sch…Arbeit mache. Dabei sieht doch jeder, dass ich gar nicht mehr kann.“

Und dann ging es in diesem Jargon ‚munter‘ weiter; die Rede war von ‚denen, die da oben sitzen und eh‘ keine Ahnung haben‘. Resümierend würde ich diese ‚Unterhaltung‘ so wiedergeben: 

 ‚Die Politiker‘ wollen nur ‚unser Geld‘ und sind faul, haben keine Ahnung. Und erst diese ‚Kameltreiber‘. Nichts haben sie eingezahlt, aber ‚in Saus und Braus‘ leben sie hier. Denen geht’s doch viel besser als unsereins. ‚Die‘ holen auch noch die Kinder und die Alten nach. 

Die Frage blieb unbeantwortet, wohin das alles wohl noch führen wird. Jedenfalls war man sich schnell einig,

dass an allem ‚die Ausländer‘ schuld sind, dass ‚die Grünen‘ vor allem nur verlogen sind, dass das alles Quatsch ist mit dem Klima; eine einzige Lüge sei das nur. Als ob wir hier irgendetwas ändern könnten. Keiner sagt, wie die Windräder verschrottet werden. ‚Der Trump‘, der macht das richtig, der zeigt ihnen allen, wo‘ s lang geht. 

Ja, und dann die Kriege. Was geht uns das überhaupt an? Haben wir hier nicht genug zu tun und genug Sorgen? Warum geben wir das Geld in die Ukraine oder sonst wohin. ‚Die‘ wollen eh‘ nur Geld verdienen – und uns nehmen sie das Wenige, was wir noch haben, auch noch weg. Wir werden doch nur verdummt, diese Medien sind ‚links‘ und ‚grün‘ – die eigene Meinung darf man ja eh‘ in diesem Land nicht mehr sagen. Nur bezahlen, das sollen wir, das Geld geben diesen ‚Öffentlich-Rechtlichen‘.

Und dann reden ‚die‘ von Freiheit und solchem Quatsch. Deutschland ist doch nur noch lächerlich, ‚die Amis‘ haben eh‘ das Sagen, die haben uns besetzt und machen, was sie wollen. Überall auf dieser Welt…‘

Erst einmal durchatmen …

Als ich aufstand und zu Hause ankam, musste ich erst einmal tief durchatmen. Was war das? Woher diese tiefe Unzufriedenheit, diese Wut, dieser Hass? Zwei oder drei Fragen drängten sich mir auf: Kann man diese Leute noch irgendwie erreichen? Wenn ja, wie und wodurch? Zweitens: Was steckt dahinter, hinter all den pauschalen Verurteilungen? Mir scheint es nicht schwer zu sein, dahinter Überforderung, Zukunftsangst und Hoffnungslosigkeit auszumachen.  Und, ja, solche Gefühle sind jedem von uns bekannt. Vielleicht ist das Ausmaß unterschiedlich ausgeprägt, aber die derzeitige Situation – ob wir in die Ukraine schauen, in den Sudan oder in den Nahen Osten – all das macht jedem von uns Angst und lässt uns fragend und bangend in die Zukunft schauen. Passend hierzu kam gerade gestern die Nachricht, dass 74 % aller ‚ostdeutschen‘ Rentner lediglich auf ihre – eh‘ oft schon schmale – gesetzliche Rente zurückgreifen können. Wie kann man, wie soll man mit dieser ‚Gemengelage‘ umgehen?

Eine dritte Frage kam mir aber auch noch: Gibt es auf all diese Unwägbarkeiten und Ängste Antworten, die tragen, die Zuversicht vermitteln (können), Antworten des Glaubens? Diese Frage vor allem ließ mich nicht mehr los. 

„Rahner selber lesen!“

Bei der Suche nach Antwort kramte ich in älteren Briefen. Da fiel mir ein Brief aus dem Jahre 1991 in die Hände. Er stammt von Herbert Vorgrimler (1929-2014), einem der bekanntesten Schüler Karl Rahners. Er ging in dem Brief auf meine Frage ein, ob es wohl eine gute Einführung in das Werk Karl Rahners gibt. Die Antwort Vorgrimlers war eindeutig:

„Der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist der beste: Rahner selber lesen. Alles andere sind abgekochte und zweitrangige Dinge.“

Und nur eine Seite weiter noch einmal der gleiche Hinweis, nur mit einem anderen Akzent:

„…, dass man am besten Rahner selber liest und meditiert, und das immer wieder.“ 

Im Heute glauben 1

Rahner nicht nur lesen, ihn meditieren. Und das immer wieder. Ich erinnerte mich an meinen Heimatpfarrer, der mir sagte: „Nimm und lies! Und wenn du es nicht verstehst, lies noch einmal, Wort für Wort, Satz für Satz. Und erst, wenn du überhaupt nicht klarkommst, dann kommst du wieder zu mir. Aber erst dann.“ Er gab mir Rahners Long- und Bestseller „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ zu lesen, das mit seitdem, als von meiner Jugendzeit an, begleitet. Und in das ich immer wieder hineinschaue. Und immer wieder finde ich Bedenkenswertes. 

Der Hinweis Vorgrimlers veranlasste mich, zu einem Band der „Schriften zur Theologie“, der gesammelten Aufsätze Karl Rahners, zu greifen, der in seinen letzten Lebensjahren erschien. Man kann es noch genauer sagen: Ich nahm mir den letzten Band von Rahners „Schriften“ vor, Band 16. Er erschien im Jahr 1984. Karl Rahner starb in der Nacht vom 30.03.1984 auf den 31. 03.1984. 

Warum griff ich gerade zu diesem, dem letzten Band der „Schriften zur Theologie“ Karl Rahners? Weil mir aufgefallen ist, dass Karl Rahner 2 gerade in den letzten Bänden seiner „Schriften“ und darum auch gerade im allerletzten Band, Fragen artikulierte und aufgriff, die heute aktueller denn je sind. Ein kleiner Blick in das Inhaltsverzeichnis des letzten Bandes mag diese Aussage belegen, denn man findet dort Vorträge und Aufsätze zu Themen wie:

Dialog und Toleranz als Grundlage einer humanen Gesellschaft

Utopie und Realität

Die theologische Dimension des Friedens

Die Frage nach der Zukunft Europas

Nichts lag also näher, in diesen Aufsätzen Rahners zu lesen, mich in sie zu vertiefen, sie zu meditieren, wie Vorgrimler empfahl. Und dabei hoffte ich, dass ich fündig werde, und Antworten finde auf Fragen, die mir angesichts der tiefen Verunsicherung, die ich wahrnehme und von der auch ich nicht ausgenommen bin, gekommen sind. Dabei konnte ich eine Erfahrung machen, die ich schon sehr oft gemacht habe: Wenn man sich bei Karl Rahner durch den ‚Wust‘ von allen möglichen, durchaus auch neuen und zusätzlichen Fragestellungen einmal durchgearbeitet hat, wird man bei ihm immer ‚fündig‘. Nicht in dem Sinne, dass plötzlich eine alles erklärende Formel geliefert wird, mit der dann sämtliche Fragen geklärt und beantwortet werden. Aber doch in dem Sinn, dass man eine Richtung angezeigt bekommt für einen Weg, den man zwar selbst gehen muss. Von dem man aber überzeugt sein kann, dass – wenn er ge – und begangen wird – das ‚innere Licht‘ der Antwort von selbst mitbringt. 

Doch – wie sagt Vorgrimler – hören wir Karl Rahner selbst und keine „ abgekochten und zweitrangigen Dinge“:   

„Es kann unvermeidliche Notwendigkeiten, Zwänge und Begrenzungen der Freiheit geben, aber sie haben sich letztlich vor dem Tribunal der Freiheit zu rechtfertigen und nicht umgekehrt. Dazu kann ein Mensch entschlossen sein. Ob er es ist, ob er diese Maxime nicht nur den anderen zumutet und sie in seiner eigenen Haltung und Handlung verrät, das lässt sich vielleicht am einfachsten durch die Antwort auf die Frage feststellen: Bist du wirklich bereit, dem anderen auch dann noch tolerant Freiheit zu gewähren…, wenn du anderer Überzeugung bist und die Macht hast, den anderen an der Verwirklichung seiner Überzeugung zu hindern? Hast du die Bereitschaft und die Geduld, soweit es nur möglich ist, in einem Dialog immer neu zu erkunden und zu erfahren, wie der andere (oder eine andere gesellschaftliche Gruppe) sein und sich verstehen will? 3

Rahner gibt also mindestens zwei Kriterien an, auf die es angesichts der Ängste und Überforderungen ankommt: Freiheit ist ein hohes Gut. Sie darf nicht ungerechtfertigt eingeschränkt werden.  Diese Aussage scheint mir gerade heute sehr wichtig zu sein!

Ob das gelingt, der Freiheit diesen Status einzuräumen, hängt auch von der Bereitschaft jedes Einzelnen ab, wie weit er tolerant ist gegenüber abweichenden Meinungen und Verhaltensweisen. Ob jemand dazu bereit und willens ist – so Rahner – ist leicht erkennbar daran, ob man diese Toleranz nicht nur wohlfeil fordert, wenn man in einer unterlegenen Position sich befindet. Sondern wenn man dazu bereit ist und sie auch umsetzt, selbst wenn die eigene Position die Möglichkeit bereithält, anderslautende Meinungen und Verhaltensweisen zu unterdrücken und auszuschalten. Klarer geht’s nimmer!

Eine christliche Aufgabe

Ähnlich verhält es sich mit dem unüberbrückbaren Pluralismus von Meinungen und Anschauungen in unserer Gesellschaft. Rahner sagte dazu bereits im Jahr 1983: 

„Je mehr die Wissenschaften von der Natur und vom Menschen wachsen und immer mehr Material der Erkenntnis als Voraussetzungen unserer Entscheidungen anschleppen, um so undurchsichtiger wird unsere Entscheidungssituation; denn uns wird für diese Entscheidungen eine Unzahl von Möglichkeiten und von Gesichtspunkten angeboten, unter denen wir uns nicht mehr zurechtfinden. Nur die Einfältigen und Dummen wissen heute noch genau, was individuell oder kollektiv zu tun ist. Früher hat die Natur, ohne uns zu fragen oder ohne, dass wir es merkten, den Großteil dessen schon als Schicksal auferlegt oder für unsere Entscheidung vorprogrammiert, was unser Leben ausmachte. Und darum gab es mehr das selbstverständlich war, als es heute für uns der Fall ist. Mühsam tastend und halb blind bewegen wir uns auf unserer Lebensbahn individuell und kollektiv weiter.“ 4

„Nur die Einfältigen und Dummen wissen heute noch genau, was individuell oder kollektiv zu tun ist.“ Das sitzt. Genauso wie der Satz: „Mühsam tastend und halb blind bewegen wir uns auf unserer Lebensbahn individuell und kollektiv weiter.“ Aktueller geht’s kaum, wenn man sich die heutigen Debatten um politische Lösungen anschaut. Und es ist mehr als fragwürdig, wenn Populisten aller Schattierungen so tun, als ob sie eine Antwort parat haben, die einfach ist, die gerecht ist und die nachhaltig ist. Wenn -, ja wenn man sie nur an die Macht lassen würde, dann würden sie es ‚schon richten‘. Aber ‚die Eliten‘, die ‚herrschende Klasse‘ manipuliert ja mit all den Mainstream-Medien das Volk, das sich nicht befreien kann und dem eine so komplizierte und komplexe Wirklichkeit nur vorgegaukelt wird. 

Dabei gehört es zur Redlichkeit entscheidend dazu, die unübersichtliche und unübersehbare Vielfalt weder zu leugnen, weg zu rationalisieren oder gar, sie zu verdrängen. Zunächst einmal – Rahner nennt oft das Wort ‚unbefangen‘ in diesem Zusammenhang – gilt es, die Wirklichkeit als solche an- und ernst zu nehmen. Doch reicht diese Annahme? Vielleicht noch mit einem zynischen, ratlosen oder unsicheren ‚Achselzucken‘ nach dem Motto: „Da ist eben nichts zu machen. Punkt. Fertig.“ Nein, bei Rahner geht es weiter – entscheidend weiter, denn ihm ist genau diese Erfahrung auch eine – Gotteserfahrung! 

„Die Annahme, das Eingeständnis und das Aushalten solcher Ratlosigkeit gehören zur christlichen Aufgabe…Unsere Ratlosigkeit darf uns im letzten nicht verwundern. Wo wir nur immer können, sollen wir sie …aufzuklären versuchen. Aber wir besiegen sie…letztlich nie…Die Frage ist nur, ob sie von uns verstanden wird als das Zu-sich-Kommen der letzten Absurdität des Daseins oder als das konkrete Ankommen des Geheimnisses, das wir als unsere rettende, vergebende und vollendende, absolute Zukunft annehmen. Letztlich gibt es nur diese Alternative, die einzige, vor der wir gewiss nicht ausweichen können.“5

„Letztlich gibt es nur diese Alternative, die einzige, vor der wir gewiss nicht ausweichen können“ – das ist jener Punkt, der die Ratlosigkeit zwar nicht beseitigt, im Gegenteil: Er verschärft sie, in dem in ihr die letzte Alternative erscheint: Entweder das Absurde – oder das göttliche, liebende Geheimnis. Beides kann, ja muss gewählt werden, denn ein Ausweichen ist nicht möglich. Und weil mit der Wahl des Absurden nichts gewonnen, aber alles verloren werden kann und mit der Wahl der göttlichen Lieben nichts verlorengehen, aber alles gewonnen werden kann, ist es ‚intellektuell redlich‘, für das Leben zu optieren. 

Manch‘ einer mag sich hier an die ‚Wette“ von Pascal erinnern, der einem, der Gott ablehnt, mit mathematischer Exaktheit die Wahl vorlegt, mit Gott alles zu gewinnen, ohne ihn alles zu verlieren. Aber es ist kein Automatismus. Die ‚Wahl‘ für Gottes Liebe ist eine Gabe – wir sprechen von Gnade – die und geschenkt ist und die zugleich eine Aufgabe ist, die nur durch das eigene Leben – und zwar ein Leben lang – eingeübt und umgesetzt werden kann und umgesetzt werden muss. Rahner ist da eindeutig, wenn er formuliert: 

„Die Annahme, das Eingeständnis und das Aushalten solcher Ratlosigkeit gehören zur christlichen Aufgabe.“

Deus Caritas Est6 – „Glauben…die einzige Möglichkeit…, dass das letzte Wort über unserem Dasein Gnade ist.“

Bleibt schlussendlich noch eine Frage, nämlich die zum Umgang mit der eingangs geschilderten – durchaus derben und aggressiven – Stimmung in unserem Land. Wie kommen wir aus unserer Hilflosigkeit heraus, aus der inneren Lähmung angesichts solcher Wut, Verbissenheit, ja auch Besserwisserei und dem bewussten Verharren in der ‚Blase‘ der Vorurteile, der Ressentiments und der Verschwörungsmythen. In der DDR konnte man ab und an in Gesprächen über schwierige Situationen im klinischen Bereich die ‚Sprachregelung‘ vernehmen von den ‚hoffnungslosen Fällen‘, bei denen ‚nichts mehr zu machen‘ sei. Ähnliche Gefühle beschleichen mich, wenn ich in diversen ‚Ratgebern‘ zum Umgang mit Anhängern von Verschwörungsmythen lese, dass man an diese Menschen nicht (mehr) ‚herankommt‘. Begründung: Weil sie ja in ihrer ‚Blase‘ gefangen sind. 

Ich möchte ausdrücklich nichts kleinreden an Schwierigkeiten. Und ich selbst habe ja eingangs der eigenen Hilflosigkeit meine Gefühle der Ohnmacht benannt. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob das alles ist, ob es reicht als Antwort und Hinweis zum Umgang mit Menschen in Frust, Wut und Angst. Für mich persönlich gibt es ein Wort, das – so sehr es einleuchtet – sehr schwer umzusetzen ist in der Realität. Und dennoch glaube ich, dass es nur so gehen kann – wenn überhaupt (noch) etwas geht. 

Eugen Drewermann schreibt ganz am Ende seiner voluminösen Arbeit (drei umfangreiche Bände) „Strukturen des Bösen“, etwas zum „praktischen Gebrauch“ der von ihm deutlich gemachten Erkenntnisse. Diesen Aussagen kann ich mich nur vollumfänglich anschließen, machen sie doch auch in einzigartiger Weise die caritative Dimension von ‚Kirche-Sein‘ deutlich. Sie zeigen unmissverständlich, dass Kirche sich nicht institutionell begrenzen lässt, weil  SEIN Geist weht, wo ER will. Nicht unbedingt dort, wo wir wollen, dass er weht. 

„Die vorliegenden drei Bände sind nicht geschrieben worden, um die Möglichkeit zu eröffnen, in theologischer Besserwisserei auf die Straße zu gehen und jedem, der dort zerstört, verzweifelt, großtönend oder kleinlaut sich dahinschleppt oder eilt, mit der Formel entgegenzutreten, er habe keinen Glauben, das Unglück seines Lebens sei seine Glaubenslosigkeit. Wohl stimmt es schon: Glauben – das ist die einzige Möglichkeit, denken zu können, fühlen zu dürfen, dass das letzte Wort über unserem Dasein Gnade ist; aber es sagte schon der alte chinesische Weise Liä Dsi: ‚Wenn eine Sache verdorben und zerstört ist, und man fuchtelt nachher herum mit Liebe und Pflicht, so kann man sie nicht wieder gut machen.“ (Liä Dsi: Quellender Urgrund, I 9) Nur wer nicht anklagt, beruhigt; nur wer beruhigt, versteht; und nur wer versteht, mildert das Böse.“ 7


  1. Titel eines kleinen Büchleins von Karl Rahner, von dem Herbert Vorgrimler sagt, das Bändchen sei „eine Art Kurzfassung der Theologie Rahners.“ (Sämtliche Werke – SW – Band 14, S. XII) ↩︎
  2.  Ich denke, dass ich nicht ‚zu hoch greife‘, wenn ich sage, dass Karl Rahner ein wirklicher Prophet der neueren Zeit war (und ich bin mir sicher, dass er mir derartige Äußerungen ‚um die Ohren geschlagen hätte‘, weil er nichts weiter sein wollte als ein katholischer Christ, der versuchte, seinen Glauben intellektuell redlich zu leben und weiterzugeben.) Rahner kannte noch nicht das Ausmaß der Digitalisierung, er wusste noch nichts von ‚KI‘, der Künstlichen Existenz, die Hoffnung und Sorge gleichermaßen verbreitet. Rahner kannte auch noch nicht das Ausmaß der Globalisierung, er starb vor der gesellschaftlichen Wende 1989, die das Ende des kommunistischen gesellschaftlichen Groß-Experimentes brachte. Und dennoch – so scheint es mir – sind seine Diagnosen sehr treffend, vieles schon vorwegnehmend, was Ende des vergangenen Jahrhunderts erst in Umrissen sich abzeichnete.  ↩︎
  3. Karl Rahner „Schriften zur Theologie“, Band XVI. Zürich-Einsiedeln-Köln 1984, S. 40 ↩︎
  4. Karl Rahner „Schriften zur Theologie“, Band XVI. Zürich-Einsiedeln-Köln 1984, S. 53 ↩︎
  5. Karl Rahner „Schriften zur Theologie“, Band XVI. Zürich-Einsiedeln-Köln 1984, S. 54 ↩︎
  6. Enzyklika von Papst Benedikt XIV. – Gott ist die Liebe ↩︎
  7. Eugen Drewermann „Strukturen des Bösen“, III, München-Paderborn-Wien (8. Auflage 1996), S. 584 ↩︎

Bild: Thomas Hoffmann, webdesign TH

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