Geburtstag Karl Rahners

Glaubensgespräche mit Glaubenszeugen am 5. März 2025, dem 121. Geburtstag Karl Rahners

Der Epilog, der unser kleines Jahreslesebuch beschließt, ist eine Betrachtung des Glaubens an der Hand von vier Glaubenszeugen, die durch ihre unterschiedlichen Profile und Zugänge ein Bild von der Vielfalt der Glaubenswirklichkeit vermitteln. Im Einzelnen sind dies Hans Küng (1928 – 2021), Eugen Drewermann (geb. 1940), Hans Urs von Balthasar (1905-1988) und Karl Rahner (1904-1984), auf den in besonderer Weise eingegangen wird. Nicht nur, weil er heute, am 05.März seinen Geburtstag hätte. Sondern weil er seiner Kirche, die er so sehr liebte, dass er sich bis zum Schluss für sie verausgabte und ihr ein Vermächtnis hinterlassen hat, auf das schon deshalb mit Nachdruck hingewiesen werden muss, weil es zu einem Großteil weder entdeckt noch eingelöst worden ist.  

Weltethos

Hans Küng, der Begründer des Projektes ‚Weltethos‘ war mit der Institution Katholische Kirche sozusagen im ‚Dauer-Clinch‘ nach der innerkirchlichen ‚Unfehlbarkeitsdebatte‘, ohne sich jedoch von ihr zu verabschieden bzw. sie zu verlassen. Anders dagegen Eugen Drewermann, der sich selbst zu seinem 65. Geburtstag – wie er sagte – das Geschenk der Freiheit machte durch seinen Kirchenaustritt. Küng und Drewermann waren bzw. sind international anerkannte Gesprächspartner, die mit ihren Impulsen nachhaltig auf gesellschaftliche Vorgänge einwirkten. So sprach Küng beispielsweise vor der UNO über sein Projekt ‚Weltethos‘, dessen Anliegen sich mit Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung treffend beschreiben lässt.  Bekannt ist Küngs grundlegende Friedensformel: Kein Weltfriede ohne Frieden zwischen den Religionen. 

Glauben des Christentums im Dialog

Eugen Drewermann ist ebenfalls bekannt für sein politisches und gesellschaftliches Engagement, das ihm viele renommierte Preise einbrachte. Küng und auch Drewermann haben in vielfacher Weise auf Gesellschaft und Kirche eingewirkt. Ihr Engagement in Politik und Gesellschaft geschah bzw. geschieht in bewusster Bezugnahme auf das christliche Sinn- und Werteangebot, das sie in großen Abhandlungen mit vielfältigen Bezügen immer wieder in die großen gesellschaftlichen Foren und Diskussionen einbrachten bzw. einbringen. Trotz Ihrer Distanz bzw. Ablehnung konkreter Formen kirchlicher Institutionen begründen sie den Glauben des Christentums umfassend mit großer, internationaler Reichweite, indem sie vom christlichen Glauben her mit vielen anderen Wissenschaften und Weltreligionen einen umfassenden Dialog führten und führen.

Der „gebildetste Mann der Gegenwart“

Hans Urs von Balthasar wurde als der „gebildetste Mann der Gegenwart“ (de Lubac) bezeichnet; sein umfassendes Wissen veröffentlichte er nicht nur in seiner großen Trilogie „Herrlichkeit – Theologik – Theodramatik“ (16 Bände), sondern auch in vielen Aufsätzen, in Kleinschriften, in vielen Werken der Kirchenväter, die er herausbrachte, einleitete und übersetzte. Balthasar war auch geschätzter Übersetzer und Herausgeber zeitgenössischer christlicher Autoren, besonders aus dem französischen Sprachraum, und wurde wegen seiner Theologie in den Kardinalsstand erhoben. 

Das Alte neu sagen

Karl Rahner, dessen 121. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, war ein bekannter Konzilstheologe, dessen Impulse die Kirche aus institutioneller Verkrustung herausführten. Seine Leistung bestand vor allem darin, den Reichtum, die Weite und Tiefe der kirchlichen Tradition für das Hier und Heute aufzuschließen. „Das Alte neu sagen“ – vielleicht ist das Rahners ‚Grundformel‘, mit der er versuchte, den spirituellen Reichtum der Kirche für die Gegenwart fruchtbar zu machen, indem er die von ihm so genannte ‚Schultheologie‘ – die er wie kaum ein anderer kannte und auch ‚von innen‘ her verstand – ‚entschlüsselte‘ und ihren geistlichen Reichtum für das Hier und Heute des Glaubens fruchtbar machte. 

Wagnis des Vertrauens

Beginnen wir mit Hans Küng. In seinem Buch „Was ich glaube“[1], versucht er eine ‚Glaubensrechenschaft‘, die gekennzeichnet ist durch eine Fülle von theologischen Überlegungen und persönlichen Erwägungen. 

„Doch plötzlich – mitten in diesem Gespräch – durchzuckt mich eine Erkenntnis…Offensichtlich geht es bei dieser Grundfrage nicht um einen Glauben im traditionell-katholischen Sinn des intellektuellen Annehmens übernatürlicher Glaubenswahrheiten … Allerdings auch nicht um einen Glauben im evangelischen Sinn des rechtfertigenden Annehmens von Gottes Gnade in Christo … Bei der bewussten, vernünftigen Begründung der menschlichen Existenz geht es um die Frage … Wie kann ich einen festen Standpunkt gewinnen? Wie mein eigenes Selbst mit all seinen Schattenseiten annehmen? … Was ging mir da plötzlich auf? Dass mir in dieser Lebensfrage ein elementares Wagnis zugemutet wird, ein Wagnis des Vertrauens! Welche Herausforderung: Wage ein Ja! Statt eines abgründigen Misstrauens im Gewand von Nihilismus oder Zynismus riskiere ein grundlegendes Vertrauen zu diesem Leben, zu dieser Wirklichkeit.“[2]

Grundvertrauen erfahren

„Rationalistische Philosophen mögen ein solches Vertrauen in die Vernunft für irrational halten…Doch machen sie damit die irrationale Basis ihres Rationalismus offenkundig. Ich selber würde dieses Sich-Verlassen, dieses grundlegende Vertrauen auf die Vernunft, keinesfalls als irrational bezeichnen. Denn das Vertrauen in die Vernunft lässt sich zwar nicht von vornherein beweisen, aber sehr wohl im Vollzug erfahren: im Gebrauch der Vernunft, im Sich-Öffnen gegenüber der Wirklichkeit, im Ja-Sagen. Das Grundvertrauen in die Wirklichkeit lässt sich, wie andere Grunderfahrungen etwa der Liebe oder der Hoffnung auch, gerade nicht durch Argumentation vorher beweisen, doch auch nicht erst im Nachhinein … Vielmehr lässt sich dieses Grundvertrauen im Lebensvollzug meiner Entscheidung erfahren, ja im Akt des Vertrauens selbst als durchaus sinnvoll, als vernünftig erfahren. 

Ein nihilistisches Nein aber, ein zynisches Urmisstrauen, lässt sich zwar durch keine noch so rationalen Argumente erschüttern. Doch verwickelt es sich in immer größere Widersprüche; Friedrich Nietzsches Werk, Leben und geistiges Erlöschen haben das auf bewegende Weise gezeigt. Ein grundsätzliches Ja dagegen lässt sich in der Praxis des Lebens trotz aller Schwierigkeiten und Hemmnisse konsequent durchhalten.“[3] 

Leben gibt es nur im Glauben

Eugen Drewermanns jüngstes Werk „Alles ist Gnade“[4] ist eine ausführliche Beschäftigung mit dem Römerbrief des Neuen Testamentes. Besonders seine Aussagen und Überlegungen zu Tod und Auferstehung sind beachtenswert, besonders auch im Gespräch mit Andersdenkenden wie Humanisten und Freidenkern. Drewermann gelingt in beeindruckender Weise der Nachweis gegenüber anderen Sinnentwürfen[5], was er schon in seinem Erstling „Strukturen des Bösen“[6] in die Formel kleidete: „Leben gibt es nur im Glauben“.[7]

Perspektive ins Unendliche

„Auf diese Weise entsteht unausweichlich die Frage, wie wir mit der Naturtatsache der Endlichkeit unseres Lebens umgehen. Das erste Paradox besteht bereits darin, dass uns als Menschen die biologischen Antworten nicht mehr schützen, – sie genügen nicht, sie muten geradewegs zynisch an…wir lebten ja weiter in den Kindern…Eine solche Antwort ist sehr beliebt, aber sie ist gänzlich falsch…Es gibt kein persönliches Weiterleben in den Genen … Personalität wird ja nicht in den Genen produziert, sondern in … dem Riesenstrom von Erfahrungen und Informationen, die wir als individuelle Psychogenese bezeichnen… Die Antwort der Religion lautet: Wir sterben nicht ins Nichts hinein, sondern in die Hände, die uns geformt haben … Diese Perspektivenöffnung ins Unendliche, diese Hoffnung auf ein neues, anderes Leben in Gottes Ewigkeit, hat absolut nichts zu tun mit dem Selbsttrost kindlicher Wunschphantasien; sie bedingt vielmehr, dass wir als Erwachsene der leidigen Todespraxis des sonst ganz >>normalen<< Lebens als eines unendlichen Kampfes ums Überleben endlich ledig werden und wahrhaft als Menschen zu existieren beginnen … Diese Perspektive ins Unendliche ist sehr wichtig, um Humanität in der irdischen Existenz wirklich zu wagen … sie setzt voraus den Glauben und die Zuversicht, dass das, was wir sind, in Gottes Hand unendlich ist und nie vergehen wird. “[8]

Transformation eines Wachstumsprozesses

„Klar ist, dass es nicht dabeibleiben kann, zu sagen: du lebst in unserem Gedächtnis und in unserer Erinnerung, – du bleibst, solange wir noch an dich denken und wohl noch von dir reden … Wir können nur so lange denken, als wir sind; unser Bewusstsein hängt von unserem Sein ab, und wie lange sind wir selbst? Es ist nichts als ein täuschendes Wortspiel zur Selbstberuhigung, von einem >>Weiterleben in unserem Gedächtnis<< zu sprechen.[9]

Drewermann spricht von Reifung der Person, von einem Wachsen in der Annahme, im existentiellen Wissen – gerade, weil man nicht perfekt ist, weil man abhängig ist – gehalten zu sein – und zwar bedingungslos! Hier scheint für ihn GOTT auf:

„Wenn dies die Ausrichtung unseres Daseins ist, lässt sich der Tod dann nicht auch anders denken als in der Form, in der er uns erscheint? Er erscheint uns als eine schmerzliche Trennung, als ein Verlust, als eine sinnlose Zerstörung; wie aber, er wäre in Wirklichkeit nur die Transformation eines Wachstumsprozesses, der an sein Ziel gelangt?“ [10]

Ein Haus voll Glorie

Um uns dem Denken Hans Urs von Balthasars (1905-1988) gedanklich zu nähern, mag zunächst ein Blick auf den Anfang eines Kirchenliedes hilfreich sein. Es war in vorkonziliarer Zeit vielleicht d e r katholische ‚Schlager‘ angesichts vieler Infragestellungen, Ängste und Unsicherheiten. Es geht um das Kirchenlied: „Ein Haus voll Glorie schauet“ in dem es heißt, dass es „weit über alle Land“ hin sichtbar ist. Es ist auf Dauer angelegt, denn es ist „aus ew-gem Stein erbauet von Gottes Meisterhand.“ Da kann nichts mehr ‚schiefgehen‘, da ist der ‚Sieg‘ schon eingepreist. Wer Balthasar liest, kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass sein Glaube irritationsfest ist gegenüber vielen Fragen und Unsicherheiten. Illustrieren möchte ich dies an dem kleinen Beispiel seiner Überlegungen zum Verhältnis des Christentums zu anderen Weltreligionen. [11]

„Das (westliche) Nicht-mehr-Stellen der Frage nach Gott ist ein Erschlaffungsphänomen, das seine eigene Gültigkeit widerlegt. Der religiöse Sinn in der Natur des Menschen kann eingeschläfert, aber niemals ausgerottet werden. Weil die großen Religionen ihn alle besitzen und lebendig erhalten, alle nach dem göttlichen Sinngrund des Daseins Ausschau halten, besitzen sie eine tiefe Gemeinsamkeit, weshalb unter ihnen grundsätzlich Toleranz zu walten hat….

Christus in der Gestalt der Erniedrigung

Seit Jesus Christus mit dem Anspruch auftrat, als Sohn Gottes die unmittelbare Darstellung seines göttlichen Vaters zu sein und den Geist Gottes zu besitzen und ihn sogar zu verleihen: seither kann der Mensch sich anmaßen, selber das Absolute, das Autonome sein zu wollen, das sich selber Gesetz ist … Hier wird nur vergessen: dass Christus in der Gestalt der >>Erniedrigung<< erschien …

In welcher Religion auch immer

Auf diese beiden Weisen der Vergöttlichung des Menschen wird die Weltgeschichte, auch die Religionsgeschichte zulaufen; denn auch wenn die übrigen Weltreligionen weiterbestehen … sie werden unfehlbar in den Sog eines dieser beiden Pole hineingenommen werden. Dass sie zum Christlichen in einer innern Beziehung stehen können, gehört zum Selbstverständnis dieser >>umfassenden<< (>>katholischen<<) Religion: der sich in Jesus Christus offenbarende Gott ist der sich erbarmende Vater aller, die ihn aus ehrlichem Herzen suchen: in welcher Religion immer sie leben mögen, Gottes Sohn ist aus Liebe zu Gott und zu den Menschen in seiner Passion für die Schuld aller gestorben und hat ihnen in seiner Auferstehung den Weg zu ewigem Leben in Gott eröffnet.“ 

Herz-Jesu-Verehrung

Diese „Schau der Gestalt“ [12] kann hilfreich sein, (für den, der sie hat!) um im Blick auf das Herz Jesu gestärkt zu werden in Glauben, Hoffnung und Liebe.  Gerade die Herz-Jesu-Verehrung, heute fast völlig aus der Mode gekommen, bietet ein unerschöpfliches spirituelles Reservoir, worauf in einer lesenswerten Arbeit Wolfgang Schneider aufmerksam gemacht hat, der an entscheidender Stelle auf Gebete Karl Rahners zurückgreift:  

„Gott, ewiges Geheimnis, Unermesslichkeit ohne Namen, seliger Abgrund, der alles birgt, von keinem umfasst, Du hast Dein ewiges Wort selbst in Deine Schöpfung und in unser Dasein ausgesagt, damit Dein ewiges Geheimnis die unsagbare bergende Nähe für uns und die Mitte der Welt selbst werde! Wir schauen auf dieses Dein ausgesagtes Wort, wir schauen auf den, der das Herz der Welt ist, wir blicken auf das Herz des Sohnes, das wir durchbohrt haben. Alle Unbegreiflichkeit, die wir und unser Dasein sind, birgt sich in diesem Herzen, alle Angst des Daseins bleibt von ihm gefasst, alles Hohe und Heilige wandert zurück zu diesem seinem Ursprung. Alles findet dort sein wahres Wesen und erkennt sich als Liebe. Alles geht ein in das Geheimnis, das selige Liebe ist.“  (Rahner, Karl, „Gebete des Lebens“, 19-25; 47-53, 82-88.u.ö.) [13]

Gebet um die Hoffnung

Karl Rahner hat es – das wird oft nicht wahrgenommen, wenn man sich mühsam durch seine langen, oft verschachtelten Sätze in den theologischen Aufsätzen quält – vermocht, die mitunter sperrigen Vokabeln theologischer Sprache in seinen Gebeten und Meditationen so ‚aufzubereiten‘, dass sie tatsächlich gut verständlich sind – ohne dass damit eine Vereinfachung oder eine ‚Gewichtserleichterung‘ des katholischen Glaubens, wie ihm gerne vorgeworfen wurde und wird, einherging.  Ein sehr schönes Beispiel (neben vielen anderen!) bietet in Bezug auf die Trinitätstheologie Rahners „Gebet um die Hoffnung“. 

„Wir bitten dich, Gott der Gnade und des ewigen Lebens: Mehre in uns, stärke in uns die Hoffnung … Lass uns immer Sehnsucht haben nach dir, der unendlichen Erfüllung des Wesens … Die Hoffnung der Herrlichkeit aber, ewiger Gott ist dein eingeborener Sohn. Er ist der, der dein unendliches Wesen besitzt von Ewigkeit zu Ewigkeit … er besitzt alles also, was wir erhoffen und ersehnen … Dein ewiges Wort, Gott der Herrlichkeit, ist Fleisch geworden, ist geworden wie einer aus uns, er hat sich erniedrigt und Menschengestalt angenommen … ein menschliches Schicksal bis in seine fürchterlichsten Möglichkeiten … Christus in uns ist die Hoffnung der Herrlichkeit. Denn wenn du uns deinen Sohn schenkst, was könnte dann noch sein, was du etwa zurückbehalten hättest? … Wir sind Brüder des Erstgeborenen, des Einziggeborenen, Brüder deines Sohnes, Miterben an seiner Herrlichkeit. Wir nehmen teil an seiner Gnade, teil an seinem Geist, teil an seinem Leben, teil an seinem Schicksal … Nicht mehr wir leben unser Leben, sondern Christus, unser Bruder, lebt in uns und durch uns sein Leben … Er will sein eigenes Leben in uns weiterführen bis zum Ende der Zeiten, er will in uns und in unserem Leben die Herrlichkeit, die Größe, die Schönheit und die Segenskraft seines Lebens offenbaren.“[14]

Zelt Gottes

Man könnte, um einen Vergleich mit Hans Urs von Balthasar an dieser Stelle anzustellen, noch einmal auf das o. g. Kirchenlied zurückkommen. Das „Haus voll Glorie“, das für Balthasar ziemlich unverrückbar steht, ist für Karl Rahner eher das – durchaus zugige, vom Wind gebeutelte „Zelt Gottes unter den Menschen“, das die Pilgerexistenz kennzeichnet. „Seht Gottes Zelt auf Erden! Verborgen ist er da; in menschlichen Gebärden bleibt er den Menschen nah.“- so heißt es im Lied. „Wir sind nur Gast auf Erden“ – diese Spiritualität des Pilgers – sie ist typisch für Karl Rahners Spiritualität, die sich vor allem in seinen Gebeten und Meditationen findet: 

„Wir sind unterwegs, Wanderer zwischen zwei Welten. Weil wir noch auf Erden wandeln, lasst uns bitten um das, was wir auf dieser Erde brauchen. Da wir aber Pilger der Ewigkeit auf dieser Erde sind, lasst uns nicht vergessen, dass wir nicht so erhört werden wollen, als ob wir hier eine bleibende Stätte hätten…“ [15]

Nachfolge in der Liebe zum Nächsten

„Herr Jesus Christus, du selbst hast mir einen Weg zu einem wirklichen, mein Leben bestimmenden Glauben gewiesen. Es ist der Weg der alltäglichen und tätig hilfsbereiten Liebe zum Nächsten. Auf diesem Weg begegne ich dir, unbekannt und erkannt. Führe mich, Licht des Lebens, diesen Pfad. Lass mich ihn in Geduld gehen, immer weiter und immer neu. Gib mir die unbegreifliche Kraft, mich selbst an den Menschen zu wagen, in der Gabe mich selbst zu geben. Dann trittst du selber in unbegreiflicher Einheit mit denen, die meine Liebe empfangen, im Nächsten mir entgegen: Du bist der, der das ganze Leben der Menschen annehmen kann, und du bleibst zugleich der, in dem es, weggegeben an Gott, nicht aufhört, Liebe zum Menschen zu sein.

Mein Glaube an Dich ist unterwegs, und ich sage mit dem Mann im Evangelium: ‚Ich glaube; Herr, hilf meinem Unglauben.‘ Führe mich deinen Weg, du der du Weg zum Nächsten, unbekannt gesuchter Bruder und darin Gott bist. Jetzt und immer. Amen.“ [16]

Das Wort Gottes als Zusage an mich

„Jesus, du hast die unbegrenzte, alles eröffnende und prüfende Frage des menschlichen Daseins gestellt, die ich selber bin. Aber dies geschah nicht bloß in Worten, sondern durch deine ganze Geschichte, nicht halb und mit Vorbehalt wie ich. Ich klammere mich dagegen an das einzelne, das sicher ist, und halte mich an den Tod, den ich als die Fraglichkeit schlechthin nur von ihm her erleide, ihn aber nicht aktiv vollziehe. Du bist die radikale Frage, die ich sein sollte. Du bist nämlich frei gestorben, und Gott stellte in dir diese grenzenlose Frage als seine eigene, nahm sie selber an und hob sie in jene Antwort auf, die seine heilige und selige Unbegreiflichkeit selber ist.

Was die Kirche, deren getauftes Glied ich bin, mir von dir sagt, klingt mir oft unbegreiflich. Lehre mich durch mein Leben, was damit gemeint ist. Ich will geduldig sein und warten können. Ich will versuchen, es mir immer wieder in das zu übersetzen, was ich an dir erfahre. Ich will auch das, was ich erfahre, weiten und einbergen in das, was deine Kirche von dir glaubt und bekennt.

Du bist gestern, heute und in Ewigkeit, weil dein Leben vor Gott nicht verlorengegangen sein kann. Du bist die unendliche Frage, an der ich und mein sterbendes Leben teilhaben, eben der Mensch. Du bist das Wort Gottes, weil Gott sich selbst mir in dir zusagte und sich selbst als Antwort aussagte. Du bist die Antwort Gottes, weil die Frage, die du als der sterbend Gekreuzigte bist, mit Gott selbst ewig beantwortet ist in deiner Auferstehung. Du bist der Gott-Mensch, beides, unvermischt und ewig ungetrennt. Lass mich im Leben und Sterben dein sein. Amen.“ [17]

Begegnung mit Jesus

„Jesus, alle Dogmatik über dich ist gut, und ich sage vor ihr gern immer wieder: Ich glaube, ‚Herr, hilf meinem Unglauben.‘ Aber alle Dogmatik über dich ist nur gut, weil sie mir das mir eigene, innere Bild von dir, nein dich selbst verdeutlichen soll, wie du dich selbst mir in deinem Geist ins Herz sagst und wie du mir schweigend begegnest im Geschick meines Lebens als der Erfahrung dieser deiner inwendigen Gnade.

Im Nächsten, an den ich mich ohne Rückversicherung wagen muss, in der Treue zum Gewissen, die sich nicht mehr lohnt; in aller Liebe und Freude, die doch nur Verheißung ist und fragt, ob ich den Mut habe, an die ewige Liebe und Freude zu glauben; in dem langsamen Ansteigen der dunklen Wasser des Todes in der Grube meines Herzens, in der Finsternis des Todes, der ein Leben lang gestorben wird, in der Alltäglichkeit der schweren Dienste täglicher Bewährung: überall begegnest du mir, allem bist du inwendig, ungenannt oder mit Namen angerufen. Denn in allem suche ich Gott, um der tötenden Nichtigkeit zu entfliehen, und in allem kann ich den Menschen nicht lassen, der ich bin und den ich liebe. Darum bekennt alles dich, den Gott-Menschen. Alles ruft nach dir, in dem als Menschen man Gott schon hat, ohne nochmals den Menschen lassen zu müssen, und in dem als Gott man den Menschen finden kann, ohne fürchten zu müssen, dem bloß Absurden zu begegnen.

Ich rufe dich an. Die letzte Kraft meines Herzens greift nach dir. Lass mich dich finden, dir begegnen in meinem ganzen Leben, damit langsam mir auch verständlich wird, was die Kirche mir von dir sagt. Es gibt nur zwei letzte Worte: Gott und Mensch, ein einziges Geheimnis, in das ich mich völlig, hoffend und liebend ergebe. Dieses Mysterium ist ja in seiner Zwiefalt wahrhaft eines, es ist eins in dir, Jesus Christus. Zu dir sage ich, meine Hand in deine Wunde legend, mit dem zweifelnd fragenden Thomas: ‚Mein Herr und mein Gott‘. Amen.“ [18]

Epilog

Am Ende dieses Glaubensgespräches, als Epilog gewissermaßen, soll eine ‚Synopse‘ zweier Glaubensbekenntnisse stehen. Sie stammen von den eben besprochenen Theologen, die landläufig als ‚Antipoden‘ gelten, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar. Dass diese Kennzeichnung eher einer oberflächlichen Betrachtungsweise Vorschub leistet und z.T. stärker auf einer menschlichen Entfremdung beider Theologen beruht, sei nur am Rande erwähnt. Jedenfalls wird man sagen müssen, dass beide Theologen die katholische Theologie im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt haben. Beide haben unterschiedliche Zugänge und Ansätze in der Theologie eröffnet bzw. fruchtbar gemacht, die auch heute, im 21. Jahrhundert noch wirkmächtig sind. 

Wie in einer ‚Kurzformel des Glaubens‘ haben sich beide explizit mit der Frage auseinandergesetzt: „Warum bin ich heute Christ?“ In beiden Beiträgen geht es um letzte, grundsätzliche Fragen des Glaubens. Sie sind auch vom Titel her fast identisch und bilden so etwas wie eine abschließende „Summenformel“ beider Theologen: 

Rahner und von Balthasar

„Ich finde, Christ sein ist die einfachste Aufgabe, die ganz einfache und darum so schwere leichte Last, wie im Evangelium steht. Wenn man sie trägt, trägt sie einen. Je länger man lebt, umso schwerer und leichter wird sie. Am Ende bleibt das Geheimnis. Es ist aber das Geheimnis Jesu.“ [19] (Karl Rahner)

 „Das Fordernste ist auch das Schönste. Das Schwerste erweist sich, weil es die Liebe ist, als ‚leichte Bürde‘, sanftes Joch. ‘ Als das, was man bei allem Sträuben schließlich am liebsten tut. Menschlich ist Liebe eine Möglichkeit der Freiheit unter andern. Göttlich wird Liebe zu der Manifestation der göttlichen Freiheit, bewiesen in Anspruch, Kreuz und Auferweckung Jesu“. [20] (Hans Urs von Balthasar)

Beide Theologen, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar, betonen gemeinsam: Glaube ist gleichzeitig das Fordernde, das Schwere einerseits, das Schönste, das Einfachste andererseits. Und: Glaube hat mit dem Leben unmittelbar zu tun. 

Das Trennende der beiden theologischen Ansätze ist allerdings auch unübersehbar: 

Für Karl Rahner ist der Lebensvollzug, der vom Geheimnis durchwaltet wird, das Entscheidende. Die Hoffnungsperspektive wird begründet aus dem existentiellen Wissen um das Geheimnis Jesu. Dieses „Wissen“ wird erfahren und angeeignet in der gläubigen Nachfolge Jesu. Gottes Selbstmitteilung, sein Heiliger Geist, der in uns wirkt, ermöglicht uns diese Nachfolge Seines Sohnes und unseres Bruders. 

Darüber hinaus kennt Hans Urs von Balthasar eine Form göttlicher Liebe, die „Beweischarakter“ hat. Er findet sie in der „Schau der Gestalt“ des Christusereignisses.  

Liebe, so oder so

Solche Liebe, die für Balthasar „objektive Evidenz“ besitzt, kennt Karl Rahner nicht. Im Gegenteil: Für Karl Rahner ist der Verzicht auf solche Art von ‚Beweis‘ entscheidend: Liebe muss für Rahner auf letzte Gewissheit verzichten und kann sich nur ‚aufheben‘ in eine Haltung absoluten Vertrauens. Darum mag die Glaubensoption von Balthasars ‚schön‘ sein. Hilfreich für mich ist eher Karl Rahner geworden, der immer wieder auf den Vollzug der Nachfolge insistiert. 

Allerdings kann uns der gläubige Blick auf das Kreuz Jesus auch nach Karl Rahner Hilfe, Trost und Stärkung sein, ja gewissermaßen „Einweisung“ in das Heilige Geheimnis, das uns von allen Seiten umgibt und uns unendlich nahe ist. Darum ist für Karl Rahner auch der Mensch das „Ereignis der vergebenden und liebenden Selbstmitteilung Gottes“, die es uns ermöglicht, IHN in SEINER Liebe (wieder) zu lieben. 

Wovon lebt der Mensch?

D A S ist der Kern dessen, worum sich der Glaube der Kirche bewegt. Es ist darum auch der Kern der Theologie Karl Rahners, dass wir VON IHM ERGRIFFEN SIND. Diese ‚Urevidenz‘ des Glaubens, sein ‚Geschenkcharakter‘ macht die Theologie Karl Rahners zu einer Option für den Glauben im Hier und Heute, inmitten aller Orientierungslosigkeit, aller Fragwürdigkeit, aller (vermeintlichen) Allmachtsphantasien und Ohnmachtserfahrungen. Sie ist vielleicht d a s Korrektiv in und zu einer Welt, die einem ungebremsten, naiven Fortschrittsoptimismus huldigt. Denn mit ungewöhnlicher Wucht drängt sich gerade heute die Frage auf: Wovon lebt der Mensch? Was macht ihn aus? Sie drängt sich überall dort vehement auf, wo diese Frage zugelassen wird und nicht einer Verdrängungsstrategie zum Opfer fällt, die sich im Digitalzeitalter Möglichkeiten zur Manipulation und Selbstsuggestion geschaffen hat, von denen Geheimdienste im 20. Jahrhundert nur träumen konnten. Doch selbst die geschicktesten Verdrängungskünstler schaffen es offensichtlich nicht vollständig, die Frage nach dem Menschen zu unterdrücken. Wie anders soll man sich das Erstarken skurrilster Verschwörungsmythen sonst erklären als dadurch, dass der Mensch – bei allem Fortschritt und allem Angsterleben – Halt und Orientierung sucht und benötigt? 

„Von nichts anderem wirklich kann ein Mensch leben als von dem Vertrauen, trotz allem umfangen zu sein von etwas, das er nicht kennt noch beweisen kann und das ihn dennoch besser kennt als er sich selbst und das ihn doch als berechtigt erweist inmitten einer Welt sonst unauflösbarer Widersprüche.“ [21]

Menschsein in Gefahr

Um diese frohe Botschaft geht es. Die Kirche richtet sie zu allen Zeiten und an allen Orten aus, denn sie kann gar nicht schweigen von ihrer großen Hoffnung des Lebens. Auch und gerade in ziemlich „winterlicher Zeit“ (Karl Rahner) des Glaubens. In einer Zeit, die den Menschen nur allzu gern reduziert auf das, was er machen, was er ‚leisten‘ kann. Die den Menschen nur zu häufig ‚klassifiziert‘ in Verbraucher oder Konsumenten, die ihn reduziert und einsetzt in Kosten – Nutzen – Rechnungen und wenig oder gar nicht auf seine unersetzbare Würde, seine Einmaligkeit Bezug nimmt. Weil sie dafür keinen Maßstab (mehr) hat, weil das Fundament dafür verlorengegangen zu sein scheint. Dieses unverrückbare Fundament besteht in der – kirchlich gesprochen – ‚Gottebenbildlichkeit des Menschen‘. Sie läuft in dem Maße Gefahr, aus dem Blick und dem Gedächtnis zu geraten, wie der Mensch selbst aus dem Blick gerät.  Durch dieses Vergessen, diese „Blindheit“, gerät letzten Endes das Menschsein selbst in allerhöchste Gefahr. Eine Gefahr, vor der deshalb nicht laut genug gewarnt werden kann. Es droht nämlich nichts weniger als die Abschaffung des Menschen! Denn wenn der Mensch nicht mehr nach sich, nach dem Ganzen, nach Sinn und Ziel fragt, dann hat er nicht nur Gott vergessen. Er hat sich selbst vergessen. Und – das Allerschlimmste – er läuft dann auch Gefahr, buchstäblich zu vergessen, dass er dies alles vergessen hat. Darum findet sich die „Meditation über das Wort Gott“ auch in Karl Rahners „Einführung in den Begriff des Christentums“:

Aufhören, ein Mensch zu sein

„Das Wort ‚Gott‘ soll verschwunden sein, spurlos und ohne Rest … Dann ist der Mensch nicht mehr vor das eine Ganze der Wirklichkeit … gebracht. Er würde in der Welt und in sich steckenbleiben … Der Mensch hätte das Ganze und seinen Grund vergessen und zugleich vergessen – wenn man das noch so sagen könnte -, dass er vergessen hat. Was wäre dann? Wir können nur sagen: Er würde aufhören, ein Mensch zu sein. Er hätte sich zurückgekreuzt zum findigen Tier.“ [22]

Sein-wie-Gott

Eugen Drewermann nimmt diesen Gedanken Rahners auf und führt ihn weiter. In einem Brief schrieb er: 

„Was selbst er (Karl Rahner – RH) nicht wusste: wir kreuzen uns nicht zurück, wir feiern es als transhumanes Gottmenschentum. Bei Dostojewski war Kirillos Vision vom Menschgott geboren aus Tod, Schmerz und Angst, bei diesen jetzt von einem Sein-wie Gott in biblischem Format. Vom Frieden Christi, den die Welt nicht geben kann (Joh. 14) will man schon gar nichts wissen… Und doch: Die Rettung dieser Welt liegt einzig in dem Geist, den Jesus uns gesandt hat.“ 

Glaubwürdigkeit der Botschaft

Reinhold Schneider resümiert deshalb tiefsinnig am Ende seines Lebens, wenn er gleichsam den Extrakt seiner Lebenserfahrung mit dem Glauben von der Menschenfreundlichkeit Gottes konfrontiert:

„…Es ist besser, zu sterben mit einer brennenden Frage auf dem Herzen, als mit einem nicht mehr ganz ehrlichen Glauben.“ [23]

Es ist tröstlich und ermutigend zugleich, zu erleben, dass es – entgegen dem Anschein – doch viele „Verbündete im Glauben“ gibt. Wir müssen mit Trauer und Sorge zur Kenntnis nehmen, dass Menschen – aus welchen Gründen auch immer- sich nicht entschließen können, zur Kirche ein uneingeschränktes Ja zu sprechen. Wir müssen allerdings eine Unterscheidung treffen: Die Schwierigkeiten mit der Institution Kirche sind ein wesentlicher Aspekt. Er ist in vielerlei Hinsicht nachvollziehbar, wenn man den Missbrauchsskandal in der Kirche und den Umgang damit erlebt. Die Frage der Teilhabe von Frauen, die widersprüchlichen Aussagen zur Frage der Interkommunion, die immer wieder geäußerten Verdächtigungen zum synodalen Prozess der Kirche in Deutschland, die Struktur – und Finanzdebatten in den Bistümern – all das erhöht die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Botschaft gerade nicht, ganz im Gegenteil. Immer mehr Menschen wenden sich – laut oder leise – von dieser Institution ab.  

Gott ist nicht aus der Welt zu schaffen

Dabei „schütten sie das Kind mit dem Bade aus“, denn der Glaube an den uns liebenden, uns „unsagbar nahe“ gekommenen Gott gilt, diese Zusage bleibt, ob sie ankommt, das liegt mit in den Händen jener, die berufen sind, von dieser Hoffnung und Liebe Zeugnis in der Welt und für die Welt zu geben. Diese Berufung ist eine große Auszeichnung, sie ist eine Würde, die auch eine große Bürde sein kann. Sie ist ein Angebot, das man annehmen, aber auch ablehnen kann. Die Kirche kann ihren Auftrag verraten, ihm nicht gerecht werden. Gott aus der Welt zu schaffen, das kann sie nicht – Gott sei Dank! 

Gottes Liebe gilt und bleibt

All jenen – und das stimmt froh und hoffnungsvoll trotz aller Schwierigkeiten mit und in der Institution Kirche – denen das Gespür nicht abhandengekommen ist, was es mit dem Menschen eigentlich auf sich hat, werden von ihrer Hoffnung nicht schweigen (können). Sie werden – in Wort und Tat – bezeugen, was verlorengeht – nämlich alles – wenn Menschen das Eigentliche, dass sie zur Liebe berufen sind, ja dass sie immer schon – und zwar bedingungslos – geliebt sind, aus dem Blick verlieren. Gottes Liebe gilt und sie bleibt. Ob wir das „verschüttete Herz“ (Karl Rahner) wieder öffnen – davon hängt ab, ob die Kirche heute und morgen ihrem Auftrag gerecht zu werden vermag.  

Gottes Geist schafft immer Neues

Vielleicht ist es der Kirche heute mehr denn je aufgetragen, noch viel liebevoller ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wahrzunehmen, zu schauen, ob und wo und wie im Leben Akte des Vertrauens, der Hoffnung, der Liebe gesetzt werden. Das sind nicht „die glänzenden Laster der Heiden“, wie Augustinus es noch meinte. Gottes Geist wirkt, wo er will. Und sein Wehen schüttelt nicht nur die festgefügten Bauten unserer Erkenntnisse, Begriffe und Vorstellungen. Sein Geist schafft immerfort Neues, auch und vielleicht gerade dann, wenn wir es nicht vermuten. Er öffnet Wege ins Weite – weil, wie Karl Rahner nicht müde wurde zu betonen, der Mensch immerfort an das „unendliche, unbegrenzt liebende und unbegreifliche Geheimnis“ im Leben gerät, das ihn umfängt, das ihn umgibt und trägt. 

Grundfragen christlicher Existenz oder Christen aufscheuchen

Darum sei zum Schluss aus einem Briefwechsel zitiert aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, in dem heftig und freundschaftlich zugleich gestritten wird um Grundfragen christlicher Existenz. Ein „bekennender Nichtchrist“ schreibt dort seinem christlichen „Kontrahenten“ und Freund Sätze des Glaubens „in‘ s Stammbuch“, die ihm eine Bestätigung geradezu abverlangen:

„Unser ganzer aufwendiger Kampf gegen den Bolschewismus ist aussichtslos, wenn es den westlichen Demokratien nicht gelingt, in ihren Angehörigen den Sinn für jene höheren Bedürfnisse zu wecken, die eine materialistisch-pragmatische Zivilisation niemals befriedigen kann. Nur der Wunsch nach subtileren Freuden, als sie ein Eisschrank oder ein Automobil gewähren, wird den Kommunismus überrunden. Nichts sonst. Keine Wasserstoffbombe und keine Moralpredigt … Hier geht es nicht um die Frage, welche Philosophie und welche Freuden, die ‚wahren‘ sind, sondern hier geht es um die Rettung des Glaubens als einer Fähigkeit, deren Verlust den Menschen um die eigentliche Bedeutung seiner Existenz bringt.“ [24]

Wenn ich diese Sätze auf mich wirken lasse, so habe ich den Eindruck, sie sind nicht vor 65 Jahren, sondern heute, im Jahr 2025 geschrieben worden, um (endlich), wie es im Kirchenlied heißt, die Christen ‚aufzuscheuchen‘ „aus dem Schlaf der Sicherheit“. 


[1] Hans Küng „Was ich glaube“, München-Zürich 2009

[2] Hans Küng „Was ich glaube“, München-Zürich 2009, S. 31

[3] Hans Küng „Was ich glaube“, München-Zürich 2009, S. 34 f

[4] Eugen Drewermann „Alles ist Gnade“, Ostfildern 2025

[5] Vgl. Steven Pinker „Aufklärung jetzt“ – Frankfurt am Main 2018 – ein Buch, das für den weltanschaulichen Humanismus besonders wichtig geworden ist. – „Eine ‚Spiritualität‘, die in den Launen des Schicksals eine kosmische Bedeutung entdeckt, ist nicht weise, sondern töricht. Der erste Schritt zur Weisheit ist die Erkenntnis, dass du den Gesetzen des Universums gleichgültig bist. Der nächste ist die Erkenntnis: Das bedeutet nicht, dass das Leben sinnlos ist, denn es gibt Menschen, denen du nicht gleichgültig bist, und umgekehrt. Du bist dir selbst auch nicht gleichgültig, und hast die Verantwortung, die Gesetze des Universums, die dich am Leben erhalten, zu respektieren…im Sinne der Erkenntnis, dass deine Existenz kosmisch gesehen nicht weniger wichtig ist als ihre und dass wir alle die Verantwortung haben, die Gesetze des Universums so anzuwenden, dass wir diejenigen Bedingungen fördern, unter denen es uns allen gutgeht.“ (S.545)

[6] Eugen Drewermann „Strukturen des Bösen“, I – III, Paderborn 1977/78

[7] Eugen Drewermann „Strukturen des Bösen“, III, Paderborn 1978, S. XLI ff

[8] Eugen Drewermann – Michael Albus „Die großen Fragen“, Ostfildern 2012, S.57-60

[9] Eugen Drewermann „Alles ist Gnade“, Ostfildern 2025, S. 273 f 

[10]Eugen Drewermann „Alles ist Gnade“, Ostfildern 2025, S. 277 

[11] Hans Urs von Balthasar „Das Christentum und die Weltreligionen – Ein Durchblick, Freiburg 1989, S.14 f

[12] „Herrlichkeit“ ist der Titel von Band I der Trilogie von Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit – Theologik – Theodramatik

[13] Wolfgang Schneider „Die Herzenswunde Gottes“ – Die Theologie des durchbohrten Herzens Jesu als Zugang zu einer spirituellen Theodizeefrage, LIT, Berlin 2008, S.433

[14] Aus Karl Rahner „Beten mit Karl Rahner“, Freiburg-Basel-Wien, 2004, Band 2 „Gebete des Lebens“, S. 107 ff – aus „Gebet um die Hoffnung“, SW 14, 351 ff

[15] Karl Rahner „Beten mit Karl Rahner“, Freiburg – Basel-Wien 2004, Band 1 „Von der Not und dem Segen des Gebetes“, S.129 – SW 7, 84

[16] Karl Rahner „Gebete des Lebens– In der Jubiläumsausgabe „Beten mit Karl Rahner“, Band 2, 2004, S.92 – SW 22/1b, 710 

[17] „Beten mit Karl Rahner“, 2004, Freiburg, Band 2, S. 92 f – SW 22/1b, 710 f

[18] „Beten mit Karl Rahner“, 2004, Freiburg, Band 2, S. 93 f – SW 22/1b, 711 

[19] Karl Rahner/ Karl Heinz Weger „Was sollen wir noch glauben?“, Herder – Freiburg, Basel, Wien, 1979, S. 207. Die Sätze stehen am Ende eines Beitrages von Karl Rahner unter dem Titel: „Ich glaube an Jesus Christus“ – Identisch mit Karl Rahner „Praxis des Glaubens“, Herder/Benziger, 1982„Warum bin ich heute ein Christ?“, S.38/39 – SW 28, 663 f 

[20] Hans Urs von Balthasar in „2 Plädoyers“, Kösel – Verlag München, 1971, S. 52. Die Sätze stehen am Ende des Beitrages von Hans Urs von Balthasar unter dem Titel: „Warum ich noch ein Christ bin“.

[21] Eugen Drewermann „Dass auch der Allerniedrigste mein Bruder sei“, Walter – Verlag Zürich und Düsseldorf, 1998, S. 7

[22]Karl Rahner „Grundkurs des Glaubens“, St. Benno – Verlag Leipzig, 1978, S. 57f- SW 26, 51 f 

[23] Reinhold Schneider, „Kein Ausweichen mehr“, Herder, Freiburg – Basel – Wien, 1989, S.148

[24] Gerhard Szczesny in Friedrich Heer/ Gerhard Szczesny „Glaube und Unglaube“, Paul List Verlag München, 1960, S. 113/ 114. Auf S. 123 bestätigt Friedrich Heer ausdrücklich diese Sicht von Szczesny.

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