Friedensdekade 2025 – Impulse aus dem Glauben

Friedensimpulse

In Schwerin wird am 18.11.2025 der Abend im Rahmen der Friedensdekade in der evangelischen Kirche St. Paul von der interreligiösen Dialogrunde Schwerin gestaltet. Zu Beginn wird es eine gemeinsame Andacht von Juden, Christen und Muslimen in der Kirche geben. Die Bitte und die Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eint uns über alle Grenzen hinweg. Wir werden mit dem Lied „Vertraut den neuen Wegen“ die Andacht beginnen. Neben Lesungen, Bitten und Meditationen wird es das Entzünden der Kerzen sein, welches symbolisch die Sehnsucht und die Hoffnung auf Frieden verkörpert. Und in der anschließenden Gesprächsrunde wird es thematisch um eine einzige Frage gehen. Sie ist allerdings zweigeteilt. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit der Frage: Welche Friedensimpulse können Religionsgemeinschaften geben? Im zweiten Teil stellen wir uns ehrlich die Frage: Welche Friedensimpulse haben die Religionsgemeinschaften gegeben und welche geben sie heute? Bevor wir in das Gespräch eintreten, wird jede Religionsgemeinschaft für jeweils 3-5 Minuten einen kleinen Impuls zur Thematik vorstellen. 

„Es bringt doch nichts…“

Ich sprach in Vorbereitung dieses Abends auch mit mehreren jungen Menschen. Es sind allesamt Suchende und Fragende, wobei die Fragen nach Gerechtigkeit und Frieden ‚oben auflagen‘. Mir fiel auf, dass auf einigen Gesichtern eine große Traurigkeit zu erkennen war. So, als ob die Hoffnung auf Veränderung vielfach erloschen zu sein scheint. Im Gespräch verfestigte sich der Eindruck, denn Enttäuschung, Angst und Ohnmacht breiteten sich bei einigen der Teilnehmenden aus. Jemand aus der Runde meinte gar, dass solche Gesprächsrunden, wie wir sie in der Friedensdekade vorhaben, doch gar nichts bringen. Auf Nachfrage äußerte er sich in etwa so:  Was bleibt denn? Alle gehen wieder nach Hause. Jeder ist seinen Ärger und seine Meinung losgeworden. Und insgeheim weiß jeder aber, dass das alles eh‘ nichts bringt. 

Jemand anderes – wohl eine Abiturientin oder Studentin, genau weiß ich es nicht mehr – meinte, es sei doch so ähnlich heute, wie es Friedrich Nietzsche einst beschrieb: Es gibt viele „Herdentiere“, also Menschenmassen, die sich nur einbilden, frei zu sein. Die aber mit lautem Getöse von ihrer Freiheit reden und gar nicht merken, wie sie insgeheim durch Werbung und andere Beeinflussungen permanent manipuliert werden. In Wirklichkeit, so die geäußerte Meinung, stehen doch hinter allem, was wir erleben, gewinnsüchtige, oft anonyme Profiteure, denen wir gar nicht ‚in‘ s Handwerk pfuschen können.‘ Dazu sind wir viel zu klein und unbedeutend. 

Eigene Nachdenklichkeit

Mich hat dieser Abend sehr nachdenklich gemacht. Es war ein offener Abend, längst nicht alle Jugendlichen und junge Menschen hatten eine kirchliche Bindung. Ich denke sogar, dass dies die Ausnahme war. Politisch war – das war deutlich zu spüren – ein großer Vorbehalt gegenüber den so genannten etablierten Parteien spürbar. „Wen soll, wen kann man denn überhaupt noch wählen?“ war eine der meistgestellten Fragen. Von einem „durch und durch kaputten System“ war die Rede, von „denen, da oben“, die „gar nicht wissen, wie die Wirklichkeit ist“, die „nur noch an sich und ihren Geldbeutel“ denken“. Der Abend, der in einer melancholischen Stimmung endete, mit viel Ratlosigkeit und auch Resignation, er war auch für mich eine große Herausforderung. Warum ist dieser Eindruck, vor allem bei jungen Menschen, so stark ausgeprägt? Woher kommt diese Sorge, diese Angst, diese offensichtlichen Gefühle von Ohnmacht? Solche Fragen stellten sich mir, ebenso die Frage: Wie erreichen wir solche Menschen? Wie und wo können wir sie mit unserer ‚frohen Botschaft‘, dem Evangelium überhaupt noch abholen? 

Nöte teilen – Gemeinschaft pflegen

Ein erster Antwortversuch kam mir am heutigen Morgen. Früh am Tag hörte ich im Radio eine Morgenandacht. Es ging um den Song der Beatles mit dem Titel: „All You Need Is Love“. Er wurde am 25. Juni 1967 live in der Fernsehsendung Our World uraufgeführt, der ersten weltweiten Satelliten-Liveübertragung in 31 Länder, gesehen von über 400 Millionen Menschen. Seine Botschaft war einfach und universell: „Liebe ist alles, was du brauchst.“ Lennon schrieb den Text bewusst schlicht, damit er weltweit verstanden werden konnte. Der Text beginnt mit einem kurzen Einspieler der französischen Nationalhymne. Sehr viele namhafte Kolleginnen und Kollegen aus dem Show- und Musik-Geschäft waren bei dieser Liveübertragung anwesend. Zum Schluss, auf unsere heutige Situation kommend, sagte der Sprecher dieser Morgenandacht sinngemäß: Wie wäre es, wenn heute ein ähnlicher Song aufgelegt würde, mit ebensolcher Präsenz, wenn er enden würde mit einem russischen Volkslied und der ukrainischen Nationalhymne? 

Ich gestehe, dass mir angesichts der verheerenden Gräueltaten in der Ukraine, angesichts dieser Überlegungen Tränen in die Augen kamen. Wie weit sind wir von diesem Frieden entfernt? Wie wenig können wir ausrichten gegen Aggressoren, die meinen, sich alles erlauben zu können, sei es in Europa, im pazifischen Raum, in Afrika oder in Lateinamerika? Und wie sehr kann ich die jungen Leute verstehen? Im Digitalzeitalter schaut die ganze Welt zu, wie Völker versklavt werden, wie Aggressoren ungebremst ihr blutiges Handwerk ausführen, ja, wie ihnen noch geschmeichelt und ‚zum Munde geredet‘ wird. Und warum? Um weiter ‚Geschäfte zu machen‘, Profit einzuheimsen, die Welt aufzuteilen zwischen Superreichen und Habenichtsen. Das scheint mir heute die eigentliche Trennlinie zwischen Menschen zu sein. Ja, auch ich fühlte und fühle mich überfordert, ohnmächtig, rat- und hilflos. 

Wie kann man damit umgehen, wenn man seine Sinne ‚heil behalten will‘? Vielleich ist dies das Erste, was wir tun können – völlig unabhängig davon, ob und welchem Religionsbekenntnis wir anhängen. Zugeben, dass man ähnlich oder gleich empfindet. Die Ängste und Sorgen teilen, auch die der Ohnmacht und der eigenen Hilflosigkeit gegenüber sich allmächtig gebenden Machtstrukturen. Indem man sich öffnet, geschieht etwas, was allein nicht erlebt werden kann: Man kann spüren, dass man auch im Leid, auch in der Hoffnungslosigkeit nicht völlig allein ist. 

„Weltethos“

Ein Zweites, und da kommen die Religionen mit ihrer Hoffnungsperspektive in den Blick, ist die Besinnung auf weltumspannende Gemeinschaften mit ihrer Orientierung auf Grundwerte. Was, wenn im kleinsten Dorf genauso wie in der größten Metropole, überall auf dieser Erde, Menschen sich besinnen auf das, was sie wesentlich ausmachen, was sie bestimmen. Was, wenn Menschen das Handy aus der Hand legen und den Computer ausschalten, wenn sie sich aufmachen zum Nachbarn, zum biblischen ‚Nächsten‘ und sich erkundigen, wie es ihm geht, was ihm fehlt, wo er Hilfe braucht. Und wenn man weiter geht und schaut, ob und wie und wo man gemeinsam Freude und Leid teilen kann, Sorgen und Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte. Wenn man nicht voreinander sich abschirmt, wenn man sich öffnet, wenn man das Leben gemeinsam feiert und – wenn nötig – gemeinsam trauert.  Wir müssen dabei gar nichts Neues erfinden. Die Religionen – weltweit – haben längst schon die Wege vorgespurt, die eigentlich nur darauf warten – immer wieder aufs Neue – dass sie endlich begangen werden. Hans Küng (1928 – 2021) drückt diese Erfahrung und dieses Wissen in seinem „Weltethos“ so aus:     

„Gerade die Religionen sollten sich dabei auf ihr eigenes Programm besinnen, in dem das Wort >>Frieden<< – in der Hebräischen Bibel >>schalom<<, im Koran >>salam>> und im Neuen Testament >> eirene<< – eine so große Rolle spielt:

  • >>Suche Frieden, und jage ihm nach! <<, hörten wir aus den Psalmen (Ps 34,15). 
  • >>Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden<<, ist die Friedensvision des Propheten Jesaja: >>Kein Volk wird wider das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen<< (Jes 2,4)
  • >> Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne (und Töchter) Gottes genannt werden<<, heißt es in der Bergpredigt (Mt 5, 9). Und der Apostel Paulus: >>Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! << (Röm 12, 17). 
  • Und der Koran, bei aller Aufforderung, gegen die ungläubigen Feinde zu rüsten, fordert: >>Und wenn sie (die Feinde) sich dem Frieden zuneigen, dann neige auch du dich ihm zu und vertrau auf Gott! << (Sure 8,61) Und: >>Wenn sie (die Ungläubigen) sich von euch fernhalten und nicht gegen euch kämpfen und euch Frieden anbieten, dann erlaubt euch Gott nicht, gegen sie vorzugehen << (Sure, 4, 90).Dies ist mein Desiderat für die Zukunft: Keine Synagoge, Kirche oder Moschee sollte es mehr geben, die nicht für die religiöse Verständigung einen Beitrag leistet. In allen Synagogen, Kirchen und Moscheen sollte für den Frieden nicht nur gebetet, sondern aktiv geworben und gearbeitet werden. Dafür brauchen wir alle zusammen eine Vision, brauchen wir Fantasie, Mut und unermüdlichen tatkräftigen Einsatz.“ (Hans Küng Denkwege 1992, 308 f)

Intellektuelle Redlichkeit

Ein Drittes scheint mir wichtig zu sein, wenn man in seinen Überlegungen und in seinem Antwortversuch auf Fragen der Orientierung und Gefühlen der Ohnmacht glaubwürdig sein und bleiben will. Karl Rahner (1904 – 1984) drückt diese Haltung – um eine solche nämlich geht es – durch die Formel der „intellektuellen Redlichkeit“ aus. Dazu gehört in erster Linie die Ehrlichkeit gegenüber eigenen Möglichkeiten und auch Grenzen. Hans Urs von Balthasar (1905 – 1988) besaß diese Tugend, als er die über die menschliche Gesinnung von einem „Paradox“ sprach, das eigentlich „unausdenkbar“ ist: 

„Materielle Macht treibt von selbst dem widergöttlichen Geist und gesteigerten Willen zur Macht zu; es wäre ein unausdenkbares Paradox, wenn die Menschheit die ihr zugespielte Machtfülle in der Gesinnung dessen zu verwalten und zu verteilen verstünde, der nicht kam, um zu herrschen, sondern zu dienen.“ (Hans Urs von Balthasar, Kleine Fibel, 99)

Zur „intellektuellen Redlichkeit“ gehört auch, dass man Implikationen der eigenen Meinungen und Behauptungen nicht nur bedenkt, sondern sie auch transparent macht im Kommunikationsprozess, als Voraussetzung für einen fairen und offenen Dialog. Karl Rahner macht beispielsweise auf mögliche Einseitigkeiten aufmerksam, wenn Eigenanteile ignoriert werden und man kein ‚Sowohl-Als auch‘ kennt, sondern nur das strikte ‚Entweder – Oder‘: 

„Wenn man aber überzeugt ist, dass dieses legitime Recht mit der ständigen Bereitschaft zum totalen Krieg verteidigt werden darf und verteidigt werden kann, läuft man dann nicht Gefahr, der eigenen Seite faktisch alles Recht, der gegnerischen Seite alle Schuld zuzuweisen? Dabei muss man doch als Christ viel mehr, als es in der allgemeinen Mentalität geschieht, Anreize und Versuchungen zum Bösen auch auf der eigenen Seite fürchten.“ (Karl Rahner, Bilanz des Glaubens, 283)

Ehrlichkeit und Offenheit sind Tugenden, die auch dann gelten, wenn der Dialogpartner u. U. fasziniert ist von der Schlüssigkeit der vorgetragenen Argumentation und die ‚Fallstricke‘ nicht wahrnimmt. Dann gehört es zur Fairness, ihn ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen. Karl Rahner, der für eine explizit pazifistische Position seinerzeit, als es um die sogenannte ‚NATO- Nachrüstung‘ ging, plädierte, verschwieg die Risiken und Gefahren der Aufgabe der politischen Freiheit nicht, ohne seine Überzeugung aufzugeben:   

„Wir sind darum und von daher für eine Abrüstung der Atomwaffen auch in Form einer Vorleistung…Der Christ, der sich aus dem Appell der Bergpredigt heraus, der Humanist, der sich aus rational-menschlichen Überlegungen und einem rational nicht mehr auslotbaren Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft der Menschheitsfamilie und des Lebens insgesamt, hierzu entscheidet, muss um die Gefahr dieses Weges wissen. Er kann den Verlust der politischen Freiheit nicht ausschließen. Zu seiner Glaubwürdigkeit gehört es, diese Gefahr zuzugeben.“ (Rahner, Bilanz, 289)

Religion ist mehr als Ethik

Ein Viertes soll noch erwähnt werden. Es steht chronologisch zwar an letzter Stelle, doch eigentlich gehört es an die allererste Stelle. Es ist die Erkenntnis und die Erfahrung, die alle Religionen, wenn sie sich richtig verstehen, vermitteln (wollen und sollen): Es geht um die Frage der Grundlegung von Moral und Ethik. Das „Du sollst“ und „Du darfst“, das bei all unseren Überlegungen mitschwingt, hängt nicht im ‚luftleeren Raum‘. Es ist wie eine Replik auf eine ursprünglichere Erfahrung des Angenommen -, des Geliebtseins. Nur auf dieser Grundlage ist Moral möglich, erhält humanistisches, also menschliches Verhalten überhaupt ein tragfähiges und hinreichendes Fundament. Bei Eugen Drewermann (geb. 1940) liest sich das so: 

„Erst jetzt wird vollends offenbar, dass es von Grund auf falsch war, Religion mit Ethik gleichgesetzt zu haben. Die Religion, speziell die christliche, hat unendlich mehr und tieferes zu lehren als: Du musst“, „Du sollst“ und „Du darfst nicht“. Sie bietet in gewissem Sinne allererst die Grundlage dafür, dass Menschen hinreichend mit sich identisch sind, um tun zu können, was sie moralisch wollen und was sie ethisch sollen.“ (Drewermann „Wendepunkte“, 15 f)

Und damit wird eines vielleicht schlussendlich deutlich: Wenn und insofern GOTT aus dem Blickfeld und dem Erfahrungsraum gerät und/oder herausgehalten wird, wird der Mensch zwangsläufig in „Strukturen des Bösen“ (Buchtitel von Eugen Drewermann) geraten. Ihm kommt eine hinreichend begründete Hoffnungsperspektive existentiell abhanden! Das gilt, ob es Demjenigen bewusst ist oder nicht. Und umgekehrt: Dort, wo jemand einem anderen gut ist, mit ihm in Wahrheit und Liebe verbunden ist, ihn tröstet und aufrichtet – dort geht er immer schon über das ‚Nur – Menschliche‘ hinaus, weil er Sinn stiftet, der im Endlichen sich weder begründen noch rechtfertigen kann. Eine Welt, die keine absolute personale Liebe kennt, kann Moral, die über Eigennutz hinausgeht, nicht hinreichend begründen. Und trotzdem gibt es – neben dem vielen, sagen wir es deutlicher, neben dem ‚Monströsen‘ – auch so viel Liebe und Licht, Wärme, Wahrheit und Hoffnung, dass die Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sich daran aus- und aufzurichten vermag. 

Die Religionen geben hiervon Zeugnis und auch alle Bekenntnisse sind letztlich ein Hinweisen und ein Hineingeleiten in diesen Abgrund der Freiheit und Liebe. Auch wenn das vielen Wahrheitssuchern und Helferinnen und Helfern in menschlichen Nöten begrifflich oft nicht deutlich sein muss und nicht deutlich ist. Freiheit ist in erster Linie das ‚Sich-Selbst-Aufgegeben Sein‘. Die ‚Wahlfreiheit‘ ist demgegenüber eine abgeleitete Möglichkeit. Im Allerletzten kann es niemandem abgenommen werden, zu wählen: Das Leben, die Gerechtigkeit, die Wahrheit – GOTT. Mir scheint, bei allem Bedrängenden – auch heute – hat die scheinbare ‚Alternative‘ zu dieser Lebensfülle kein einziges sinnvolles Argument für sich.

Foto von Allec Gomes auf Unsplash

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