„Er ist wieder da“
Gerade lese ich das Buch von Timur Vermes „Er ist wieder da“. 1 Im Untertitel heißt es: „Der Roman“. Und im Innenklappentext heißt es über das Werk: „Über 90 Wochen auf der Bestsellerliste, davon 20 Wochen auf Platz 1. In 38 Sprachen übersetzt.“ Auf der Rückseite findet sich ein Zitat von Christoph Maria Herbst:
>>Was für eine Fiktion! Satirisch. Saukomisch. Und bei allem Lachen bleibt ein Rest Gänsehaut. <<
Keine Satire, nicht komisch, ohne Lachen
Ich möchte sagen: „Einspruch, Euer Ehren!“ Bei mir kommt dieser Roman weder satirisch noch saukomisch an. Bei mir bleibt auch kein Lachen übrig. Vielmehr erstirbt es auf den Lippen oder bleibt mir im Halse stecken, wie man es denn gernhätte. Ich hörte heute Vormittag eine Radiosendung und musste mit anhören, wie ein Vertreter der sogenannten ‚Alternative für Deutschland‘ es nicht fertigbringt, zu sagen oder zu bejahen, dass die Ukraine ein Recht hat, in Frieden, Freiheit und gesicherten Grenzen zu leben. Der es nicht fertig bringt, den Aggressor beim Namen zu nennen. Der stattdessen ‚faselt‘ von den Kosten, die für Deutschland entstehen, der vom „Willen des Volkes“ spricht, den er – und offenbar nur er und seine Parteigruppierung – versteht. Weil er sich beim ‚Volk‘ erkundigt hat, was es denn gerne wolle. Und, ja, das ‚Volk‘ möchte, dass die Ukraine (endlich) keine Unterstützung mehr erhält. Gesagt hat er es nicht, gedacht sehr wohl: „Was geht uns das Elend der anderen an?“
Bittere Realität
Und dann lese ich das Buch „Er ist wieder da.“ Es ist ein Meisterwerk, ohne Frage. Doch es ist weder eine Fiktion, noch ist es Satire. Es ist – in vielen Köpfen und Herzen der Menschen – bittere Realität! Das geht bis zur Wortwahl, bis zu Obszönitäten, bis zur Verachtung Anderer, Verhöhnung von Frauen und Menschen mit so genanntem ‚einfachem Gemüt‘. Es ist dem Autor hervorragend gelungen – und das erklärt wohl auch das große Echo auf das Buch – die Stimmung, die in großen Bevölkerungsteilen herrscht, nicht nur in einer Kunstfigur zu spiegeln. Das Buch ist – um es in aller Klarheit zu sagen, wenn ich auf Wahlergebnisse in einzelnen Ortschaften unseres Landes schaue, die ‚alternativ‘ gewählt haben – im wahrsten Sinn des Wortes Realsatire. Ich teile die Einschätzung, die auf derselben Seite steht, auf der das Zitat von Christoph Maria Herbst zu finden ist:
„Dieser Hitler ist keine Witzfigur und gerade deshalb erschreckend real. Und das Land, auf das er trifft, ist es auch: zynisch, hemmungslos erfolgsgeil und trotz Jahrzehnten deutscher Demokratie vollkommen chancenlos gegenüber dem Demagogen und der Sucht nach Quoten.“
Der Versuch, ohne Gott zu leben
Was bitte ist daran „saukomisch“ oder zum Lachen?! Eher ist mir zum Heulen zumute. Doch das hilft wenig oder gar nicht. Diese erschreckende Realität hat einen viel tieferen Grund. Er ist in einem Lebens-Versuch experimentell und existentiell, viele Jahre vor Adolf Hitler, in der Philosophie durchgeführt worden – und grandios gescheitert. Das Leben von Friedrich Nietzsche(1844-1900) steht wie eine unübersehbare Warnung und Mahnung vor uns.
„Der Versuch, ohne Gott zu leben, scheiterte; auch die Wertsetzung, die diesem Versuche dienen sollte, muss fallen: sie kann zu keiner Kultur führen, sondern nur in das Nichts. Dennoch war die Welt in ein Stadium getreten, wo dieser Versuch gemacht werden musste… indem es erwies, dass ein Leben ohne den Glauben nicht möglich ist.“ 2
Vor 90 Jahren schrieb Reinhold Schneider (1903-1958) diese beklemmenden Zeilen. Ein Leben ohne Glauben ist nicht möglich. Deutlicher: Ein Glaube nur an das eigene Ich muss tödlich enden. Wir können es heute allenthalben sehen und spüren. Mir scheint, dass eine hinreichende Antwort nur im und aus dem Glauben heraus gegeben werden kann. Dabei ist vor allem kein (g)eiferndes ‚Zelotentum‘ gemeint, aber eben auch kein rein verbales Bekenntnis, weil Glaube sich ‚ganzheitlich‘ ereignet. Und zwar vor allem in Lebensvollzügen wie Vertrauen und Danken, Lieben, Bitten, Klagen und Hoffen.
Glauben in unserer heutigen Welt
Damit drängt sich schlussendlich die Frage auf, was das denn ist, ‚Glauben‘. Anders formuliert: Wie geht ‚glauben‘? Gerade auch angesichts dieser Welt, wie wir sie jetzt, im Jahr 2025 erleben?
Es ist gut, wenn wir bei der Antwortsuche nicht auf einsame Suche gehen. Besser ist es, uns an die Hand nehmen zu lassen von Glaubenszeugen, die tiefer und weitergesehen haben, als es uns landläufig möglich ist. Nur so kann die Antwort auch hilfreich und weiterführend sein – auch in der Stunde der Not! Beginnen wir mit Joseph Ratzinger (1927-2022), der in seinem frühen Bestseller „Einführung in das Christentum“ schrieb:
Joseph Ratzinger-Benedikt XVI
„Christlicher Glaube ist nicht Idee, sondern Leben, ist nicht für sich seiender Geist, sondern Inkarnation, Geist im Leib der Geschichte und ihres Wir. Er ist nicht Mystik der Selbstidentifikation des Geistes mit Gott, sondern Gehorsam und Dienst: Selbstüberschreitung, Befreiung des Selbst gerade durch die Indienstnahme durch das von mir nicht Gemachte und nicht Erdachte; Freiwerden durch Indienstnahme für das Ganze.“ 3
Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar (1905-1988) schrieb dazu in seinem Büchlein „Fibel für verunsicherte Laien“ – eine kleine ‚Fibel‘, die der allgemeinen Verunsicherung entgegenwirken sollte – folgende bedenkenswerten Worte:
Hans Urs von Balthasar
„Die Christen erleben, wie keine Generation zuvor, wie zweideutig aller irdischer Fortschritt ist…materielle Macht treibt von selbst dem widergöttlichen Geist und gesteigerten Willen zur Macht zu; es wäre ein unausdenkbares Paradox, wenn die Menschheit die ihr zugespielte Machtfülle in der Gesinnung dessen zu verwalten und zu verteilen verstünde, der nicht kam, um zu herrschen, sondern um zu dienen.“ 4
Abschließen soll diese kleine Reihe der Konzilstheologe Karl Rahner (1904-1984) der in seiner kleinen Schrift „Im Heute glauben“ – die einer seiner bekanntesten Schüler auch als „Kurzfassung seiner Theologie“ 5 bezeichnet hat – das Wesen des Glaubens gerade von seiner radikalen Bedrohung und Infragestellung her gekennzeichnet hat:
Karl Rahner
„Wenn wir die auch uns neben und außer der Glaubensentscheidung noch immer angebotenen und heimlich verwendeten Surrogate der Daseinsdeutung und die Analgetica der Daseinsangst in uns selbst entlarven, wenn wir unsere Brüchigkeit wirklich zugeben und uns der tödlich drohenden Leere des Lebens stellen, noch radikaler als der radikalste Skeptiker, desillusionierter als der härteste Positivist, dann gestehen wir uns zwar die Gefährdetheit unseres Glaubens ein, haben aber damit auch (erst!) den Boden gewonnen, auf dem der Glaube in seiner heute einzig wahrhaft möglichen Gestalt stehen kann. Denn er ist heute nur echt, wo angesichts dieser Situation geglaubt wird, und er ist haargenau die absolute Sinnantwort, die als solche nur zur Erscheinung kommt, wo die Sinnfrage absolut gestellt wird, wo also eben nichts schon von vornherein (wie noch in der Bourgeoisie vor Nietzsche im 19. Jahrhundert) und auf jeden Fall klar, sinnvoll und indiskutabel ist.
Sich radikal ergeben
Denn nur angesichts dieser radikalisierten Situation geht dem Menschen ganz und deutlich auf, dass er und die Welt eben nicht Gott ist und dass beide keinen numinosen Glanz von sich selber her haben, den man beruhigt und selig genießen könnte. Nur so erfährt der Mensch, dass Gott – Gott ist, das unbegreifliche Geheimnis, dem man sich radikal zu ergeben hat. Und da fängt das Christentum erst an und hört es auf, freilich indem, gleichzeitig begriffen wird, dass dieses Geheimnis die vergebende, sich selbst mitteilende Nähe Gottes ist.
Aber eben dies lässt sich in der Gnade und der Botschaft des Christentums erst erfahren, wenn der bodenlose Abgrund des Daseins nicht künstlich verdeckt wird, wie es Heiden und Christen, Christen und Heiden (wir alle sind Sünder) gerne tun, wenn also die Gefahr mutig in ihrer Bodenlosigkeit und Angst bestanden wird, damit in ihr selbst das Rettende, freilich als das durch Gott allein Rettende erscheinen kann.“ 6
- Timur Vermes „Er ist wieder da“, Köln 2012 ↩︎
- Reinhold Schneider „Schicksal und Landschaft“ – Freiburg-Basel-Wien 1960, S. 299f ↩︎
- Joseph Ratzinger-Benedikt XVI „Einführung in das Christentum“ (Neuauflage), München 2000, S. 91 – auch in „Glaube-Hoffnung-Liebe“, München 2011, S.46 ↩︎
- Hans Urs von Balthasar „Kleine Fibel für verunsicherte Laien“, Einsiedeln-Trier 1989 (dritte Auflage), S.99 ↩︎
- Herbert Vorgrimler in SW 14, S.XII ↩︎
- Karl Rahner „Im Heute glauben“ – Einsiedeln 1966, S. 30f – auch in Sämtlichen Werken (SW), Band 14 – Freiburg-Basel-Wien, S. 14 ↩︎
Zeichnung von Thomas Hoffmann