Einspruch aus dem Glauben

Eugen Drewermann wird 85 Jahre alt

Es ist nicht mehr überschaubar, das Riesenwerk des Autors Eugen Drewermann. Vielen macht es Mühe, noch einigermaßen die Übersicht zu behalten ob der vielen theologischen Werke, der vielen Bücher über verschiedenste Wissenschaften, umfängliche Arbeiten über Finanzen und Kapitalismus, über das Strafrecht oder über Märchen und Kunstwerke. Von den vielen exegetischen Arbeiten und den Interviewbänden erst gar nicht zu reden. Drewermann schreibt viel mehr als jemand in seinem Leben lesen kann. Und die Frage bleibt unbeantwortet im Raum stehen: Wo nimmt dieser Mann seine Kraft her? Die Kraft, die ihn unverdrossen, stundenlang, wenn es sein muss, ohne jedes Stichwort Vorträge halten lässt, die man einfach nur mitzuschreiben braucht. Drewermann spricht immer druckreif. Und nie lässt ihn sein Gedächtnis im Stich. Darauf kann man sich verlassen. 

Doch hier soll es um keinerlei Würdigung eines immer noch unverdrossen Schaffenden gehen. Dazu fühle ich mich nicht in der Lage. Darum geht es mir auch nur um eine einzige kleine Frage: 

Was ist der Kern von all dem?

Was zeichnet Eugen Drewermann im Allerletzten aus? Mir scheint, Eugen Drewermann gibt nicht auf in all seinem Bemühen, das Kirche – Sein vor allem, wie er selbst es formulierte,

„durch eine Vertiefung der Botschaft Jesu“ 

neu zu justieren.

Drewermann spricht von einem grundsätzlichen „Perspektivenwechsel“, den wir als Kirche einzunehmen haben, denn: 

„In Hilfsbedürftigkeit weiß jeder, dass es nötig ist, die Welt zu betrachten aus der Sicht der Hilflosen.“

Wir spüren heute – vielleicht deutlicher noch als vor 30 Jahren – wie die so genannten ‚Mächtigen‘ tatsächlich vermeintlich die ganze Welt zu gewinnen scheinen und dabei ihre Seele verlieren. Der ganze Popanz, der noch medial verstärkt wird, entlarvt sich letzten Endes fast immer als große Lächerlichkeit. 

Darum ist Drewermanns Fest- und Klarstellung auch so bedeutsam: 

„Die Sehnsucht der Menschen nach Gott gehört zu uns, weil wir Menschen sind; sie ist von Denksystemen unabhängig.“ 

Es gibt Theologen, die der Kirche ‚raten‘, doch (endlich!) zu akzeptieren, dass Menschen auch ohne Gottesbezug glücklich sind. Welch fataler Irrweg, welch eine Bankrotterklärung des Glaubens und welch ein Fatalismus gegenüber dem ‚verschütteten Herzen‘, das zur Normalität stilisiert wird! Um wieviel liebevoller, behutsamer und vor allem christlicher nimmt sich angesichts dessen Karl Rahners Aussage aus, die er vor nunmehr bald 50(!) Jahren traf:

„Vielleicht müsste man auch die Banalität, die sich als Bescheidenheit und Nüchternheit und Eingeständnis des Unvermögens tarnt, auch noch einmal genauer, vorsichtiger und liebender analysieren; man könnte dann vielleicht auf deren Grund nochmals viele christliche Möglichkeiten entdecken.“ (Rahner-Weger „Was sollen wir noch glauben?“, 1979, 146 f)

Wie recht er hat!

Denn –  um nochmals Drewermanns Aussage anzuführen – 

„Die Sehnsucht der Menschen nach Gott gehört zu uns, weil wir Menschen sind; sie ist von Denksystemen unabhängig.“ 

Ich weiß nicht, ob Eugen Drewermann sich darin wiederfindet – oder ob er widersprechen würde. Denn ich glaube, dass ein Wort von Karl Rahner, das er dem Heiligen Ignatius von Loyola in den Mund legte, Drewermanns Anliegen, seine Intentionen und Ziele treffend wiedergibt:  

„Man kann auch in Zukunft von Gott sprechen, wenn man wirklich versteht, was mit diesem Wort gemeint ist, und es wird immer eine Mystik und Mystagogie der unsagbaren Nähe dieses Gottes geben, der das andere von sich geschaffen hat, um sich selber ihm in Liebe als ewiges Leben zu schenken. Die Menschen werden immer angeleitet werden können, die endlichen Götzenbilder, die an ihren Wegen stehen, zu stürzen oder gelassen an ihnen vorbeizugehen, nichts absolut zu setzen, was ihnen als Mächte und Gewalten, als Ideologien, Ziele und Zukünfte einzelner und bestimmter Art begegnet, ‚indifferent‘, ‚gelassen‘ zu werden und so in dieser nur scheinbar leeren Freiheit zu erfahren, was Gott ist… Es wird immer Menschen geben…die im Blick auf Jesus den Gekreuzigten und Auferstandenen es wagen, sich an allen Götzen dieser Welt vorbei auf die Unbegreiflichkeit Gottes als Liebe und Erbarmen bedingungslos einzulassen. Es wird immer Menschen geben, die in diesem Glauben an Gott und Jesus Christus sich zur Kirche zusammentun, sie bilden, sie tragen und sie – aushalten.“ 1


  1. Karl Rahner „Das Alte neu sagen – Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute“ – Freiburg-Heidelberg 1982, S. 78 ff ↩︎

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