Wochenimpuls Mai 2025-4
„Religion ist Verdummung“
In der Abiturklasse lernte ich im Philosophieunterricht den dialektischen und historischen Materialismus kennen. Das war in der DDR, im Jahr 1976/77. Unser Lehrer versuchte uns Schülern klarzumachen, dass es eine einzige, wissenschaftliche Weltanschauung gab, den dialektischen und historischen Materialismus. Er stehe dem so genannten Idealismus unversöhnlich gegenüber, weil dieser illusionär sei, unwissenschaftlich. Nun gäbe es allerdings Unterschiede, denn eine besonders schlimme ‚Spielart‘ dieser unwissenschaftlichen Weltsicht sei die Religion, die die Menschen verdummt. Und die allerschlimmste Form dieser Verdummung ist die Ausprägung der römisch – katholischen Kirche.
Dein Name ist wie der Geschmack des Lebens
Jeder, der dies heute – mit zeitlichem Abstand liest – kann sich denken, was das mit einem jungen Menschen macht, der auf der Suche nach Antworten für sein Leben ist. Der in einem Elternhaus lebt, für den das Leben in und mit der Kirche selbstverständlich ist. Für mich kam damals sehr Vieles in‘ s Wanken und ohne Karl Rahners Buch „Von der Not und dem Segen des Gebetes“ hätte mein Leben sicherlich einen gänzlich anderen Verlauf genommen. Heute, in der Vorbereitung auf die Wortgottesfeier zu „Mariä Lichtmess“ oder dem „Fest der Darstellung des Herrn“ im Jahr 2025 fällt mir eine Passage ein aus einem Buch, das schon vom Titel her sehr einladend ist: „Dein Name ist wie der Geschmack des Lebens“. Es stammt von Eugen Drewermann aus dem Jahre 1986. Wie gerne gehe ich mitunter in Gedanken zurück in unseren Philosophieunterricht und wie gerne hätte ich unserem Lehrer diese eine Stelle gezeigt, denn heute – wenn er noch lebt – wird er so alt sein, wie der alte Prophet und die alte Seherin. Beiden war es gegeben, eines niemals aufzugeben: Die Hoffnung. Waren sie dumm? Waren sie naiv, kindisch? Ihre Antwort könnte vielleicht so aussehen:
„Freilich kann man jetzt auch wieder sagen, Simeon erwarte zu viel, es sei schlechterdings naiv, einfachhin an der Wirklichkeit vorbeizuträumen … Jedoch in diesem Sinne ist das ganze Christentum ein ‚kindlicher‘ ‚Wunschtraum‘, und wer diese Formel kritisch nimmt, um sie gegen das Christentum zu richten, der möge bedenken, dass, selbst wenn das Christentum nie etwas anderes wäre als ein solcher Wunschtraum, eine solche ‚Illusion‘ immer noch tausendmal besser wäre als die sogenannte Wirklichkeit; denn dieser ‚Traum‘ allein lässt Menschen leben und bewahrt sie vor Verzweiflung …