Wochenimpuls Januar 2025-1
Spannende Lebensphase
Allem Anfang wohnen ein Zauber und ein Glaube inne – so lautet das Motto für den Monat Januar. Ich habe es schon angedeutet: Mit fast 67 Jahren beginnt für mich jetzt noch einmal eine neue, spannende Lebensphase. Und während ich dies schreibe, spüre ich, wie unsicher ich bin: Werde ich es ohne ‚meine‘ Caritas überhaupt aushalten? Wie gehe ich damit um, dass nicht mehr täglich liebe Kolleginnen und Kollegen da sind, mit denen ich über „Gott und die Welt“ reden konnte? Mit denen die Lasten, aber vor allem auch die Freuden des Lebens geteilt wurden.
Ich bin gespannt auf die Zeit, die jetzt angebrochen ist, auf all die Freuden, Chancen und auch auf die Herausforderungen. Mir steht Peter Wust vor Augen, der „Philosoph von Münster“, der 1940 – mitten im Krieg, mit nur 56 Jahren – an einer schlimmen Krankheit verstarb. Er hat in seinem letzten Lebensjahr noch ein Werk herausgebracht, sicherlich sein letztes, mit dem bezeichnenden Titel: „Gestalten und Gedanken“. Es ist ein wunderbares, vor allem ein mutiges Buch. Erschienen ist es, wie schon erwähnt, 1940 (!), also in dem Jahr, in dem Wust mit 56 Jahren an Krebs starb und – als Philosoph! – seinen Schülerinnen und Schülern das Gebet und nicht die Reflexion als „Zauberschlüssel“ … als „das letzte Tor zur Weisheit des Lebens“ empfahl.
Zu beten imstande
„Das Gebet als letzte Hingabe gefasst…macht still, macht kindlich, macht objektiv. Ein Mensch wächst für mich in dem Maße immer tiefer hinein in den Raum der Humanität (- nicht des Humanismus -), wie er zu beten imstande ist, sofern nur das r e c h t e Beten gemeint ist. Gebet kennzeichnet alle letzte ‚Humilitas‘ des Geistes. Die großen Dinge des Daseins werden nur den betenden Geistern geschenkt. (228) [1]
1940 war das deutsche Volk noch ganz ‚besoffen‘ von den Erfolgen der ‚Blitzkriege‘. Und da schrieb der schon vom Tod gezeichnete ‚Philosoph von Münster‘, dass wir in einer Zeit leben,
„wo auch denkende Menschen die Treber der Geistlosigkeit mit Behagen annehmen und in sich hinabzuschlingen bereit sind.“ (172)
Ein folgenschwerer Bruch
Wust war Sohn eines armen Siebmachers aus Rissenthal im Saarland. Sein Wunsch zu studieren, blieb lange unerfüllt; Wohltäter blieben zunächst aus, der Dorflehrer hatte wenig Empathie für den Hochbegabten. Bis der alte Pastor im Nachbarort sah, wen er vor sich hatte und Privatunterricht in Latein gab, um später Gymnasium und Studium der Theologie mitzufinanzieren. Denn er sah in dem Jungen einen künftigen Geistlichen für die Diözese Trier. Dem armen Vater brach allerdings nicht nur eine zusätzliche Einnahmequelle weg durch das Weggehen des Sohnes; die Studienkosten – schon für die Gymnasialstufen in Trier – konnte er nicht allein aufbringen. Und als Peter Wust dann doch nicht Theologie zu Ende studierte, sondern in die Philosophie wechselte und in dem Fach auch später einen Lehrstuhl erhielt, kam es zu einem folgenschweren Bruch.
Verlorener Sohn
„Bei meinem Vater galt ich von jetzt an als ein „Abtrünniger“, als ein „Verlorener Sohn“. (207)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Peter Wust sein letztes philosophisches Werk – eigentlich das einzige, das er noch gelten lassen wollte– „Ungewissheit und Wagnis“ (1937) – beginnen lässt mit der Parabel vom „Verlorenen Sohn“ und nicht vom „Barmherzigen Vater“.
Warum kommt mir gerade heute, nach 85 Jahren, jener Philosoph aus Münster in den Sinn, den kaum noch jemand näher zu kennen scheint? Es sind vor allem drei Gründe, die fast prophetisch auch in unsere Zeit heute hineinsprechen:
- Nichts ist selbstverständlich. Es kommt oft darauf an, den richtigen Kairos nicht zu verpassen.
- Vieles im Leben ist geschenkt. Die Dankbarkeit ist eine Grundtugend, die helfen kann, die vielen angeblichen Selbstverständlichkeiten im Leben wahr – und ernst zu nehmen.
- Mut und Wagnis sind auch heute, auch in der Kirche, in der Caritas gefragt, wenn wir Menschen mitnehmen wollen auf den Weg des Glaubens, der in‘ s Weite führt. Der Offenheit verbürgt, der Engen sprengt und Vorurteile und der vor allem Freiheit schenkt.
Ein Vermächtnis
Der Satz: „Wo auch denkende Menschen die Treber der GEISTLOSIGKEIT mit Behagen annehmen und in sich hinabzuschlingen bereit sind.“- er fasziniert mich ungemein. Man stelle sich die Zeit vor, in der dieses prophetische Wort gesagt wurde. Jene Zeit, in der Macht vor Recht ging, in der jüdische Menschen und auch andere nicht als Menschen galten, jene Zeit, die vom „Herrenmenschen“ sprach und jeden in‘ s Konzentrationslager steckte, der den Herrschenden ein ‚Dorn im Auge war‘. Man stelle sich vor, dass dieses Wort jemand sagte, der wusste – ohne Wenn und Aber – dass seine Tage im wörtlichen Sinne gezählt sind. Für mich sind diese Worte wie ein Vermächtnis. Ein Vermächtnis, aufzustehen, wo Unrecht geschieht, die Wahrheit zu sagen, wo Hass gelehrt wird und sich ausbreitet. Vor allem aber ist dieses Wort deshalb – auch und gerade für unsere Zeit – ein Vermächtnis, weil es aus dem Gebet heraus lebt. Für Peter Wust war das „Gottesgerücht“ keine Nebensache. Seinem Leben – und man darf es sicher auch sagen – seinem Sterben wohnte ein Glaube inne, der – so ist unsere Hoffnung – in’ s Schauen übergegangen ist.
[1] Die in Klammern gesetzten Zahlen geben die Seitenzahlen des Buches „Gestalten und Gedanken“ von Peter Wust an. Das Buch erschien im Verlag Kösel-Pustet in München 1940.
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