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Glaube – Kirche – Hoffnung

Was stärkt unsere Hoffnung?

Bild zeigt das Kreuz mit Jesusfigur, dass im Hamburger St. Marien-Dom über dem Altar hängt.

Am 14.Mai 2006, also vor fast 20 Jahren, gab der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, unserer Neuen Kirchenzeitung [1] in Hamburg (Nr.19) ein bemerkenswertes Interview anlässlich seines 70. Geburtstages am 16. Mai in diesem Jahr. Bemerkenswert war das Gespräch insofern, als viele Fragen, die uns heute bezüglich des Glaubens, der Kirche und der Zukunft umtreiben, schon damals, wenn auch vielleicht nur in Umrissen, absehbar waren. Ebenso die Frage an Kardinal Lehmann, wie er damit umgeht.

Denn die Frage stand auch schon 2006 drängend im Raum, was die Situation der Kirche und des Glaubens ganz allgemein mit dem einzelnen Gläubigen macht, was ihn vor Resignation und Fatalismus bewahrt, was seine Hoffnung stärkt.

Die Antwort, die Lehmann seinerzeit gab, hat mich bis heute geprägt, ja, sie ist für mich richtungsweisend geworden. Lehmann, der „durch und durch ein Mann des Konzils“[2] war, sagte, wenn ihm 

„einmal nicht zum Lachen ist, dann hole (ich) zum Beispiel Balthasars kleines Bändchen „Schleifung der Bastionen“ [3] heraus oder Karl Rahners „Das freie Wort in der Kirche“.[4] Danach fällt mir das „Dennoch“ wieder leichter. Das sind Jahrhundertbücher, auch wenn sie schmal sind.“ [5]

Was mir zunächst auffiel, war die zeitliche Nähe beider „Jahrhundertbücher“. Sie waren ungefähr 10 Jahre vor Konzilsbeginn geschrieben worden und als Lehmann seine Bewertung für sie abgab, waren bereits über 50 Jahre seit ihrer Veröffentlichung vergangen. Mittlerweile sind es fast 75 Jahre her. Grund genug, nachzuschauen, ob sie uns nicht auch heute Wegweisendes zu sagen haben. 

 Kirche in der Welt von heute

Was ich seinerzeit in diesen „Jahrhundertbüchern“ gefunden habe, hat meinen Dienst in der Caritas nachhaltig geprägt. Aber auch für mein privates Glaubensleben sind die Impulse Balthasars und Rahners immer bedeutsamer geworden. Ich kann an dieser Stelle nur in äußerster Kürze auf den Reichtum dieser beiden Bücher eingehen.  Aus „Schleifung der Bastionen“ und aus „Das freie Wort in der Kirche“, wähle ich zwei Impulse aus, die deutlich machen können, was die „Kirche in der Welt von heute“[6] einerseits braucht und wohin sie sich – und zwar auf welchem Wege – hin entwickeln könnte bzw. sollte. Der erste Impuls stammt von Hans Urs von Balthasar, der 1952 (!) seiner Kirche unmissverständlich ‚in‘ s Stammbuch schrieb‘: 

„Manche sind heute bereit, ihr Leben für Kirche und Welt zu geben… Ihnen täte eine Theologie not, die das christliche Dasein unter dem Gesichtspunkt des Dienstes, des Auftrags, des Mitstrahlens und Mitverzehrtwerdens schildert. Wäre eine solche einmal klar durchdacht…so könnte neue Kraft aus den christlichen Gemeinden in die Welt ausstrahlen.“[7]

Mich erinnert dieses Wort Balthasars an ein sehr spätes von ihm, als er in einem Interview antwortete, dass er eigentlich nichts mehr erwartet. Er möchte nur noch „verglühen“. Prägnanter als in diesen wenigen Worten kann man auch kaum das Anliegen vom Pastoralkonzept „Sendung und Sammlung“ zusammenfassen. Ebenso klar ist auch die Standortbeschreibung für die kirchliche Caritas. Wir brauchen heute in der Kirche vor allem eine geistliche Leitidee, eine Grundkonzeption, die sich primär geistlich auszurichten hat! Viele – durchaus notwendige – Struktur -, Finanz – und Immobilienfragen führen uns oft (weit) weg von dem, was unser Auftrag als Kirche ist: Dienen. Und in diesem Dienst wird (vorrangig!) deutlich(er) werden, woraus wir wirklich leben als Kirche. 

 Vertrauen statt Angst

Statt des Mutes zum Dienen, zum „Mitstrahlen“, erlebte und erlebe ich häufig(er) ein ängstliches Starren auf Zahlen, auf ‚Austrittswellen‘, auf Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, auf das Schwinden des Einflusses in der Öffentlichkeit, auf zunehmende Kosten, sinkende Einnahmen und steigende Ausgabe usw. Das alles hat seine Berechtigung. Nichts, was legitim bedacht und getan werden muss, soll und darf ernsthaft in Frage gestellt werden. Allerdings: Wenn Angst uns bei all diesen Vorgängen beherrscht anstelle des Vertrauens auf „Gottes Einsatz“[8] für uns, dann ist das mehr als bedenklich. Es ist Symptom schwindenden Glaubens! Der sonst so differenziert, teilweise kompliziert argumentierende Karl Rahner sagte unmissverständlich vor über 70 Jahren zu diesem Phänomen: 

„Wenn die Kirche mit ein paar – irdisch gesehen – hoffnungslos phantastischen Leuten, die an die Auferstehung eines gehenkten Idealisten glaubten, begann und doch schon Kirche mit ihrem ganzen Wesen und ihrer ganzen Wirklichkeit war, dann kann sie auch wieder einmal auf ein solches embryonales Stadium reduziert werden, ohne dass damit – theologisch und glaubensmäßig gesehen – etwas Beunruhigendes geschehen wäre…Die Kirche ist nicht nur nach Belieben die kleine oder große Zahl der Christen; sie ist das << Zeichen, aufgerichtet unter den Völkern>> und muss durch ihr deutliches, in der Öffentlichkeit der Welt und ihrer Geschichte und Kultur greifbares Dasein in Lebendigkeit, Heiligkeit und unerschöpflicher Fruchtbarkeit an allem Guten das Zeichen ihrer göttlichen Stiftung an ihrer Stirn tragen, um so selbst zum Glaubensmotiv zu werden.“[9|

Mir machen diese Worte Karl Rahners eines sehr klar: Wenn und weil die „Kirche… das << Zeichen (ist), aufgerichtet unter den Völkern>>“, darum trägt sie „das Zeichen ihrer göttlichen Stiftung an ihrer Stirn“, darum – und nur darum! – kann sie „selbst zum Glaubensmotiv“ werden. Kirche ist „aufgerichtet“ worden – vom Herrn der Geschichte, sie ist weder ‚erfunden‘ noch das Ergebnis von Produktion und Konsumtion!

Erneuerung mit Jesus Christus

Eine geistliche Erneuerung der Kirche kann deshalb nur in einer dankbaren Rückbesinnung auf den „Herrn der Kirche“, auf Jesus Christus geschehen. Bei allen notwendigen Reformbemühungen darf das Entscheidende nicht vergessen werden: Kirche lebt zuerst und zuletzt vom Empfangen. So sehr Gottes Geist uns befähigt, IHN in SEINER Liebe wieder zu lieben, so sehr ist das Empfangen dem Machen vorgeordnet. Aus all dem ergibt sich nicht nur eine – mitunter auch trostvolle – Hoffnungsperspektive. Einher geht mit dieser Rückbesinnung auf Jesus, den Christus, vor allem die Gelassenheit: Das Boot wird nicht untergehen, auch wenn die Stürme heftig an ihm zerren. Denn ER ist bei uns, ER, „dem Wind und Wellen gehorchen.“ 

 Was ist bedeutsam?

Ein Letztes, um anzuzeigen worum es geht bei all unserem Denken und Reden über die Kirche, vor allem auch über unser Leben in und mit der Kirche. In seinem Buch „Einübung priesterlicher Existenz“[10] nimmt Schwerdtfeger eine sehr bewusste Einordnung vor, die anzeigt, wer hier überhaupt etwas ‚einzuüben‘ hat. Aus- und eindrücklich wird herausgestellt, dass – wo immer Rahner sich Gedanken macht über die „priesterliche Existenz“ – es sich bei ihm vorrangig um christliche Lebensvollzüge handelt.[11] Gleich zu Beginn, noch im Vorwort, schreibt Rahner, auf was es ankommt. Was für uns auch im Hier und Heute bedeutsam ist – wenn wir es mutig im Vertrauen auf SEINEN Beistand umsetzen: 

Den Geist des Engagements, den Mut zur Selbstkritik…das Wagnis des Glaubens, auch wenn man nicht um seine konkrete Gestalt der Verwirklichung weiß, den selbstlosen Dienst am Nächsten und endlich: die Liebe…es braucht da nichts geändert zu werden, wo es um den eigentlichen Anspruch des Christentums und des Priestertums geht: der Liebe unter den Menschen und damit dem Kommen des Reiches Gottes zu dienen. [12]

[1] Neue Kirchenzeitung Hamburg, Nummer 19, 14.05.2006

[2]  Neue Kirchenzeitung Hamburg, Nummer 19, 14.05.2006

[3] Hans Urs von Balthasar „Schleifung der Bastionen“, Einsiedeln 1952

[4] Karl Rahner „Das freie Wort in der Kirche“, Einsiedeln 1953

[5] Ebenda

[6] Konzilskonstitution

[7] Hans Urs von Balthasar „Schleifung der Bastionen“, Einsiedeln 1952, S. 53

[8] Hans Urs von Balthasar „In Gottes Einsatz leben“, Einsiedeln 1971

[9] Karl Rahner „Das freie Wort in der Kirche“, aus dem Beitrag „Die Chancen des Christentums“, Einsiedeln 1953, S.47 f 

[10] Karl Rahner „Einübung priesterlicher Existenz“, Freiburg – Basel – Wien 1970 – Ein Buch, das Nikolaus Schwerdtfeger in seiner verdienstvollen Arbeit „Gnade und Welt“ über die Theologie Karl Rahners folgendermaßen charakterisiert: „Die Titel zweier Werke von ihm belegen exemplarisch, dass beides bei ihm zur Geltung kommt, dass seine Theologie nicht nur auf die „Einführung in den Begriff des Christentums „zielt, wie der Untertitel vom „Grundkurs des Glaubens“ lautet, in dem seine transzendental – anthropologisch dimensionierte Theologie ihre ausgereifteste Gestalt gefunden hat, sondern auch auf die „Einübung priesterlicher Existenz“ , wie ein anderes, weniger bekanntes, jedoch kaum minder bedeutendes Buch von ihm heißt, das den zweiten Typus der Theologie repräsentiert. – Nikolaus Schwerdtfeger „Gnade und Welt“, Freiburg- Basel- Wien 1982, S. 65

[11] „Einübung priesterlicher (und das meint zuallererst: christlicher) Existenz“ – „Gnade und Welt“, Freiburg- Basel- Wien 1982, S. 65

[12] „Einübung priesterlicher Existenz“, Freiburg – Basel – Wien 1970, S.7 – Beachtenswert ist der Umstand, wie  Rahner den Anspruch von Priestertum und Christentum zusammensieht: „Der Liebe unter den Menschen und damit dem Kommen des Reiches Gottes zu dienen.“

Beitragsbild: Thomas Hoffmann, Kreuz aus dem St. Marien-Dom in Hamburg

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