Die Antwort auf diese Frage kann ich nur geben, wenn ich mich dem Glaubensbekenntnis der Kirche anvertraue. Und dieses ist im 20. Jahrhundert von keinem besser erläutert worden als vom Konzilstheologen Karl Rahner. Dessen Antwort ist auch für mich heute, im 21. Jahrhundert, vollgültig. Gerade weil sie die Weisheit der Kirche nicht nur berücksichtigt, sondern sie auf Gegenwart und Zukunft hin geöffnet hat. Und das mittlerweile vor über 40 Jahren, denn Karl Rahner starb 1984.
Was sagt nun Karl Rahner von Jesus Christus, auf den ich mich als kirchlicher Christ in meinem Glauben beziehe?
„Die Botschaft des Glaubens von Jesus Christus erzählt keinen Mythos und kein Märchen, wohl aber sagt sie das radikale einmalige Ereignis der Verwirklichung der letzten Wesensmöglichkeit des Menschen … der dies deshalb konnte, weil er der war und ist, der von Gott immer schon angenommen war, so dass sich in seinem Leben ereignete und geschichtlich erschien, was seine Wirklichkeit ist: die Selbstzusage Gottes an die Welt von Unwiderruflichkeit in und durch die radikale gottgewirkte Annahme dieser Selbstzusage im wahren Menschen Jesus.“ 1
Ein ‚typischer Rahner‘: Hier ist kein Wort zu viel, keines zu wenig und jedes steht am richtigen Platz. Das ganze Leben Jesu, einschließlich Tod und Auferstehung, erfährt von hier aus seine tiefste Begründung und Deutung in einem: Zunächst geht es um ‚Übereignung‘ seiner selbst, um das Heraustreten aus dem eigenmächtigen Ich-Sagen, um das ‚Überschreiten der Begrenztheit des engen ‚Ich‘. Jeder erfährt beides, seine Möglichkeiten und auch seine Grenzen.
Und es geht um Annahme des Lebens in allen seinen Dimensionen. Rahner stilisiert dabei Jesus nicht zum Heroen, zum übermächtigen Helden, ganz im Gegenteil. Jesus konnte sein Lebenszeugnis „für uns und zu unserem Heil“ nur deshalb so leben, „weil er der war und ist, der von Gott immer schon angenommen war“.
Was ergibt sich daraus? Dass sich in Jesu Leben ereignete (ereignen konnte!) und auch (für uns) geschichtlich erschien, was seine Wirklichkeit ausmacht. Frage: Was macht seine Wirklichkeit eigentlich aus? Welche Erfahrungen machten seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen mit ihm, so dass nicht nur der Glaube des Jesus wichtig wurde, sondern auch der Glaube an Jesus, den Christus? Man könnte es so sagen: Mit und an Jesus wurde erfahren, dass Gott uns, seiner Schöpfung eine Zusage gibt, die gilt, unbedingt! Und dass die Annahme dieser unbedingten Zusage – ganz real – geschehen ist – für uns. Sie, diese Annahme der Zusage einer unbedingten Hoffnung – und damit sind wir bei der Antwort auf die eingangs gestellte Frage – geschieht nicht nur verbal, also im Wort. Nein, sie ist vollumfänglich da, weil sie umfassend gemeint ist. Darum wird diese Annahme der Zusage einer unbedingten und siegreichen Hoffnung geradezu das ‚Prägemerkmal‘ einer persönlichen Geschichte. Der Geschichte des Jesus von Nazareth.
Diese Annahme ist allerdings kein ‚Meisterstück‘ des Menschen Jesus. Die Erfahrung seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ist eindeutig: Wirklich in allen seinen Lebensvollzügen erfuhr sich dieser Mensch getragen, gehalten und ermächtigt von einer personalen Wirklichkeit, die er mit dem zärtlichen Kosewort ‚Abba‘, Väterlein, ansprach. Ihr verdankte er sich – total. Von dieser Wirklichkeit und auf diese Wirklichkeit hin lebt er. Das war sein ganzer Lebenssinn und Lebensinhalt.
Darum war es für jene, die mit ihm zusammenwaren, nicht so schwer, wie es uns heute mitunter scheint, dass sie ihn nicht nur in biblischer Tradition, bei seinem Leiden und Tod, als ‚leidenden Gottesknecht‘, als ‚Lamm Gottes‘ interpretierten. Früh schon setzte sich – erst als schüchterne Ahnung, dann als dankbare Gewissheit- durch: Hier – in diesem Menschen Jesus von Nazareth – erfahren wir überhaupt etwas von jener Wirklichkeit, die durch die ganze Tradition hindurch, durch die menschliche Geschichte – oft mehr geahnt als gewusst-, mehr hinweisend als beschreibend und oft nur mühsam und stotternd – mit Gott umschrieben wurde. Hier hat dieser ‚Gott‘, ER selbst, nicht eine ‚Vertretung‘ von ihm – eine reale Geschichte. Und diese Geschichte Gottes ist eine, die mit uns und die vor allem für uns geschieht.
- Karl Rahner „Schriften zur Theologie“, Band VIII, Einsiedeln 1967, S. 216 ↩︎