Sich inmitten des Universums in den Händen Gottes bergen

Wochenimpuls Oktober 2025-4

Mir ist die Herausforderung der „Kirche in der Welt von heute“ besonders nachdrücklich in einem Buch vor Augen geführt worden, das ebenfalls schon vor über 60 Jahren erschienen ist. Es stammt also aus einer Zeit, in der von Digitalisierung und auch von Globalisierung, wie wir sie heute kennen und erleben, explizit noch kaum die Rede war. Sowohl der ‚platte Materialismus‘ als auch die Anfrage durch fernöstliche Religionen spielten allerdings schon seinerzeit eine herausgehobene Rolle. 

„Worauf ich hinauswill, zeigt vielleicht am besten die Gegenüberstellung der christlichen und der buddhistischen Auffassung. Der Kern der buddhistischen Metaphysik ist die Lehre von der Nicht – Substanzialität und vom Nicht – Selbst. Nach dieser Lehre gibt es durch alle Seinssphären hindurch nichts Beständiges. Auch die menschliche Individualität ist nur scheinbar etwas Unteilbares und Dauerhaftes. In Wahrheit gibt es keine Dinge, sondern nur Prozesse, die für eine bestimmte Zeitdauer bestimmte Strukturen aufbauen, um sie dann wieder abzubauen. Die ‚Erlösung‘ besteht im Auslaufen der Prozesse und in der Auflösung der durch diese Prozesse zustande kommenden Strukturen, zu denen gerade auch die menschlichen Personen gehören.“ 1

Der Autor der „Zukunft des Unglaubens“ – erschienen im Herbst 1958, das längere Zeit führend war als Bestseller in Freidenker –, und humanistischen Kreisen hat die ‚Alternative‘ zum Glauben exakt beschrieben. „Worauf ich hinauswill…“ ist also nach Gerhard Szczesny als ‚Erlösung‘ anzustreben, nämlich die „Auflösung menschlicher Personen“. Empfohlen wird die buddhistische Weltsicht, nach der Individualität nur Schein ist und Leiden verursacht. Es sei zunächst dahingestellt, ob Szczesny die buddhistische Weltsicht richtig verstanden und beschrieben hat. Auf diese grundsätzlich Infragestellung christlicher Weltsicht vor mehr als60 Jahren hat in unseren Tagen besonders Eugen Drewermann in gleichermaßen einfühlsamen wie einprägsamen Worten geantwortet: 

„Der Buddha ist Jesus ähnlich in der Analyse…Auch der Buddha will im Grunde den Blick auf den Menschen mit den Augen eines Arztes, eines Therapeuten, richten. Man soll…den Ursachen nachgehen…So findet er eine ganze Menge… wie die üblichen Fehlidentifikationen, so würden wir heute sagen, nebst all den falschen Ansprüchen, die sich daraus ergeben, Illusionen aller Art. All das kann man auflösen, lehrt der Buddha, und dann Frieden haben. Für Jesus ist das Problem des menschlichen Daseins durchaus vergleichbar, doch es stellt sich ihm ungleich dramatischer, indem er von den Ängsten der Person ausgeht. Das ist etwas, das der Buddha so nicht kennt…Buddha kann sich am Ende ins Universum auflösen. Jesus kann die Angst, die er als Problem entdeckt, nur lösen, indem er dem Individuum hilft, sich selber in aller Ausgesetztheit inmitten des Universums in den Händen Gottes zu bergen.“ 2

Sich selbst in den Händen Gottes, der absolut liebenden Person im Hintergrund aller geschaffenen Wirklichkeit, geborgen fühlen – was gäbe unsere Zeit dafür, dass sie dies doch (endlich) glauben könnte? Wie hoch ist angesichts dessen unsere Berufung, unser Auftrag durch Wort und Tat, durch unser gesamtes Leben, diese Botschaft glaubwürdig zu bezeugen!  


  1. Gerhard Szczesny in Friedrich Heer/Gerhard Szczesny „Glaube und Unglaube“, München 1960, S. 78 ↩︎
  2. Eugen Drewermann „Wir glauben, weil wir lieben“, Ostfildern 2010, S. 61 f  ↩︎
Foto von Andrzej Pokrzywiec auf Unsplash

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