Eine Betrachtung zum Begegnungstag der Religionen
Am 12.10.2025 feiern wir wieder den traditionellen Begegnungstag der Religionen in Schwerin. Sein Titel ist Programm „Weißt du, wer ich bin?“ Es geht darum, im Miteinander auf den anderen zu hören, ihm zu zuhören, um ihn zu verstehen. Es geht darum, im Gespräch, im Essen und Trinken, im kulturellen Austausch von- und miteinander zu lernen. In diesem Jahr wird dieser Tag in Schwerin von einer muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgerichtet. Sie wird unterstützt von einer Frauengruppe der Caritas, wobei die meisten Frauen einen Migrationshintergrund haben und- besonders über die Sprache – lernen, sich besser in unserer Gesellschaft zurecht zu finden.
Es arbeiten in der Caritas haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Immer wieder große Freude lösen bei den Treffen die Frühlingsrollen einer vietnamesischen Mitarbeiterin aus, die auch im Ruhestand bei der Caritas ehrenamtlich Dienst tut und nach einhelliger Überzeugung die ‚besten Frühlingsrollen von Schwerin‘, auch in diesem Jahr, uns wieder bereitstellen wird. All dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit einer evangelischen Gemeinde, die auch dank eines rührigen Ehrenamtlers all die formellen Fragen bei Antragstellung und Verwendungsnachweisführung klärt, in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Schwerin, die sich seit Jahrzehnten mittlerweile ausgezeichnet bewährt hat. All dies geschieht – last not least – in den Gemeinderäumen der katholischen Propsteigemeinde Schwerin. Das ebenfalls schon seit vielen Jahren, so dass man fast geneigt ist – wenn man die vorbereitenden Beratungen in den Räumen unserer jüdischen Glaubensgeschwister mit hinzunimmt- zu sagen: Mehr interreligiöse Gemeinschaft geht kaum.
Unser Gemeinwesen kennt keine Mauern
Und dennoch treibt mich eine Sorge um, die ich nicht verheimliche. Seit vielen Jahren moderiere ich in Schwerin diesen interreligiösen Dialog. Und vermehrt spüre ich – nicht nur nach dem 7. Oktober vor zwei Jahren – einen mehr oder weniger verdeckten Antisemitismus. Einen Hass auf Menschen jüdischen Glaubens, der z. T. verdeckt, mitunter auch offen und unverhohlen geäußert wird. Bedrückend war für mich beispielsweise, dass das gemeinsame Gebet um Frieden in der Synagoge von der Polizei beobachtet und geschützt werden musste. Ein bekannter Publizist, der in einem Badeort in Mecklenburg eine Lesung abhalten wollte, wurde ausgeladen. Die Begründung des Bürgermeisters war, dass offensichtlich die Mehrheit der Gemeindevertreter Sorge um Ausschreitungen befürchtet. Meine Frage, die sich mir angesichts solcher Ereignisse stellt, ist so einfach wie beklemmend: Wie konnte es nur so weit kommen?
Andererseits – auch das ist zu erleben – gibt es Abschottungen von verschiedener Seite. Für eine ‚alternative‘ Politik – alternativ zu unserem demokratischen Gemeinwesen, das leugnet man durchaus nicht (mehr) – ist das Leben mit Menschen mit Migrationshintergrund eh‘ scheinbar ausgemacht ‚die Mutter aller Probleme‘. Aber es gibt auch muslimische Tendenzen, die – aus welchen Gründen auch immer – den (interreligiösen) Dialog nicht (mehr) fortführen. Auch das ist nicht nur betrüblich, sondern – im wahrsten Sinn des Wortes – brandgefährlich für unsere Demokratie. Wir können und wir dürfen – aus welchen Gründen auch immer! – keine Parallelgesellschaften in unserem Gemeinwesen entstehen und zulassen, für das das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland uneingeschränkt Gültigkeit besitzt.
Henryk M. Broder schreibt schon vor fast 20 Jahren seinen Bestseller „Hurra, wir kapitulieren“ 1. Ich frage nach: Ist das so? Gewiss, unser Gemeinwesen kennt keine Mauern. Darum darf es keine Parallelgesellschaften geben oder eine Infragestellung unseres Grundgesetzes. Allerdings, dort, wo Integration nicht gut gelingt, bedarf es zunächst der Anfrage an uns selbst, was wir falsch gemacht haben, wie es dazu gekommen ist, wer was zugelassen hat, was getan oder unterlassen wurde, dass so ein Zustand eingetreten ist. Und dann muss natürlich die Frage gestellt werden, was man mit (allen!) demokratischen Mitteln tun kann und tun muss, um diesen Zustand wirksam zu verändern.
Was nicht hilft
„Hurra, wir kapitulieren“ ist ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen sollte. Ein Buch, das in der Tat zum Nachdenken anregt, dessen Titel nach meiner Wahrnehmung aber heute, im Jahr 2025, auch von Menschen unbesehen übernommen und vertreten wird, die das Buch nicht oder nicht vollständig gelesen haben. Nur so ist mir beispielsweise erklärlich, dass es nach wie vor Sympathisanten der politischen Bewegung von PEGIDA gibt. Dabei steht diese politische Strömung für Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes nicht nur politisch total im Abseits. Wenn man in Gesprächen – so sie denn zustande kommen – nur ein wenig an der Oberfläche ‚kratzt‘ und nachfragt, was es denn mit dem ‚Abendland‘ auf sich hat, kommt mitunter ein großes Erstaunen, wenn man darauf aufmerksam macht, dass das ‚Abendland‘ im Wesentlichen auf drei Säulen beruht, nämlich auf der griechischen Philosophie, dem römischen Recht und dem jüdisch-christlichen Glauben. Und erst recht löst man Erstaunen aus, wenn man auch auf Fehler dieses ‚Abendlandes‘ aufmerksam macht, wie es der katholische Theologe Karl Rahner, der gewiss nicht verdächtig ist, das Christentum zu unterminieren, prägnant so zusammengefasst hat:
„Das Abendland…hat in der Zerreißung der Einheit der Christenheit, in der Anbetung des goldenen Kalbes, in dem Hochmut der glaubenslosen Vernunft, in der selbstsüchtigen Tyrannei, mit der es die Welt an sich reißen wollte, und zuletzt noch in der Verbiegung des Kreuzes Christi zum Hakenkreuz als Ganzes den Auftrag Gottes verraten.“ 2
Schlag‘ nach bei Nietzsche
Die Spaltung innerhalb der Christenheit mit ihren verhängnisvollen Folgen – dem Kolonialismus und der Hybris einer ‚Aufklärung‘, die vorgab, zu wissen, dass es Gott gar nicht geben kann sowie dem Totalitarismus unter dem Hakenkreuz – all das gehört eben auch zum ‚Abendland‘, mit dem wir uns zu befassen und auseinanderzusetzen haben. Dass solch eine Auseinandersetzung nicht einfach ist, ist unbestritten. Niemand Geringeres als Friederich Nietzsche (1844-1900) gab mit seinem Lebenszeugnis davon Kenntnis.
„Was Nietzsche mit seiner Forderung vom Zerbrechen der alten Tafeln seiner Zeit, ja der gesamten abendländischen Geschichte vorwarf, waren insgesamt eben jene Krankheitssymptome einer aus Angst das wirkliche Leben verleugnenden Scheinmoralität: Feigheit, Weichheit, Dekadenz, Ressentiment, Ohnmacht, Morbidität, Unechtheit, Verlogenheit in jeder Form; was sich Nietzsche mithin als ein bis zum Wahnsinn zerrissener Gegensatz der Wertanschauungen auftat, war selbst das Ergebnis eines aus Angst bis an die Grenzen des Krankhaften, Wahnsinnigen vorangetriebenen Festhaltens an Anschauungen, Ordnungen und Werten, Verleugnungen und Verfälschungen, die in der Tat vom Leben selber überholt und zum Einsturz bestimmt waren. Was Nietzsche nur im Rausch göttlichen Wahnsinns meinte durchbrechen zu können, war selbst die in sich geschlossene geistige Krankheit einer ‚Moralität‘, die sich, getrieben von unendlicher Angst, dem Leben verweigerte und das Leben verleugnete, – im Namen Gottes an Gott vorbei; und es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass gerade diese angsterfüllte Anklammerung an überlebte, einseitig gewordene Werte und Anschauungen als Reaktion eben den Widerspruch erzeugen musste, den Nietzsche als ‚Philosophie mit dem Hammer‘ seine Schüler lehren wollte.“ 3
Wofür wir dankbar sind
Wir haben allerdings diesem ‚Abendland‘, unsrem Europa, auch sehr vieles zu verdanken, über das wir sehr froh sein können – und sein sollten. Die selbsternannten ‚Verteidiger des Abendlandes‘ täten gut daran, mitzuwirken, dass die Grundpfeiler des Abendlandes (wieder) stärker in Geltung und Beachtung kämen: Die griechische Philosophie, das Recht, das auf dem römischen Recht aufruht und vor allem der jüdisch-christliche Glaube mit seinen Implikationen, von denen ich nur die universellen Menschenrechte, die Menschenwürde und die Förderung des Familienlebens nenne, weil dort die Grundlagen für jedes menschliche Gemeinwesen erlernt werden.
Der Dialog der Religionen gebietet es, über unseren begrenzten nationalen Horizont hinauszuschauen: Auf Europa, auf andere Länder in der EINEN Welt. Wir müssen zuerst bei uns innehalten – Gewissenserforschung nannte man es in früheren Zeiten – ob es nicht vor allem auch unsere Art des Wirtschaftens ist, die die Erde in jenem Maße überfordert, wie sie andere Länder ausbeutet, und die den Menschen in ihren Heimatländern jegliche Perspektive raubt. Wenn das so ist, muss schleunigst gegengesteuert werden -im Großen und im Kleinen – denn nur so bekämpft man wirksam die so genannten ‚Flüchtlingsursachen‘. Das wäre sehr im Sinne des ‚Abendlandes‘, das den Maßstab aufgerichtet hat durch den jüdisch-christlichen Glauben: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“