Wurzeln des Extremismus – schlag‘ nach bei Schopenhauer!

Arten extremistischen Denkens und Handelns gibt es viele. Manche sprechen von Links- und Rechtsextremismus, andere von religiösem Fanatismus oder von Verschwörungsmythen. Sie sind unterschiedlich gestaltet und liegen in verschiedenen Ausprägungen vor, durch die sie sich unterscheiden. Dabei werden die Gemeinsamkeiten oft übersehen, die die Unterschiede nicht nur verdecken, sondern sie auch gering erscheinen lassen im Verhältnis zu den Gemeinsamkeiten.

Dabei sind diese oft größer als gemeinhin angenommen wird. Denn allem Extremismus ist gemeinsam die Suche nach ‚Schuldigen‘, nach den so genannten ‚Sündenböcken‘, seien es ‚Bürgergeldempfänger‘, ‚Migranten‘, ‚undankbare Rentner‘, ‚gierige junge Leute‘ oder ‚Superreiche‘. Die ‚anderen‘ sind in dieser Wahrnehmungsperspektive oft die ‚Gierigen‘, die, ‚die nie genug bekommen können‘ oder ‚die, die eigentlich nur neidisch‘ sind. Neidisch auf den Erfolg anderer, auf deren Ansehen, dass sie auch gerne hätten. Oder sie sind ‚einfach nur faul und/oder dumm. 

 Ein gewisses Sendungsbewusstsein und die Mentalität von ‚Erwählung‘, Überlegenheit und ‚Wissensvorsprung‘ der ‚Eingeweihten‘ gehören fast immer ebenso dazu bei extremistischen Denk- und Handlungsmustern, wie ein exklusives Gemeinschaftsgefühl der Wissenden um den Weg zum ‚irdischen Paradies‘, das alle Ungerechtigkeit (endlich) ein-für-alle-Mal beseitigt. Der Vorbehalt gegenüber der Demokratie ist dabei oft stark ausgeprägt. Sie wird als Herrschaft des ‚Man‘ (Heidegger) und der Banalität gekennzeichnet. Die „Herrschaft des Volkes“ – so die oft vertretene Meinung – sei nichts anderes als ‚Dummenfang‘, eine große Illusion und diene nur dazu, die wahren Machtverhältnisse der ‚Eliten‘ oder ‚Klassen‘ zu verschleiern. 

Die Frage bleibt: Was steckt hinter allem? Gibt es ein ‚Muster‘ (oder mehrere?), das dem allem zugrunde liegt? Monokausale Erklärungsversuche sind oft schon deshalb falsch, weil sie die Komplexität der Wirklichkeit reduzieren. Dieses Ausblenden von verschiedenen Bereichen ist der Preis, den man oft für Vereinfachung zahlt. Von daher ist bei all den Sätzen, die beginnen mit „Dahinter steht nur…“ oder „Nichts anderes als…“ allergrößte Vorsicht geboten. Und doch scheint mir ein Blick in die Philosophiegeschichte lohnend zu sein. Denn der 1788 in Danzig geborene und 1860 in Frankfurt am Main verstorbene Philosoph Arthur Schopenhauer hat seinerzeit eine Beobachtung gemacht, die – wie mir scheint – nicht nur in unsere Situation sehr genau hineinpasst. Sie kann auch einen Richtungssinn aufweisen, wo denn vor allem gesucht werden sollte, um extremistischen Haltungen gewissermaßen ‚auf die Spur zu kommen‘. 

Schopenhauer machte sich Gedanken darüber, dass das menschliche Dasein durch eine Fülle von Bedürfnissen belastet ist, die nicht befriedigt werden können.

„Stets treiben sie neue Begehrungen aus sich hervor, die wiederum nicht gestillt werden können. Nichts vermag dem Menschen >>den bodenlosen Abgrund seines Herzens auszufüllen<<. So stellt sich das Leben als >>ein fortgesetzter Betrug<< dar. Bleiben die Erfüllungen immer wieder aus, dann wird der Mensch des sinnlosen Spieles schließlich überdrüssig. Dann verfällt er unvermeidlich der Langeweile, die womöglich noch quälender ist. Aus beidem, aus unerfüllten Wünschen und Langeweile, erwächst unabwendbar das Leiden, das das Charakteristikum des Menschenlebens ausmacht.“ 1

Schopenhauers ‚Lösung‘ kann ich nicht teilen, die in der „Auslöschung alles dessen, was ist“ 2 bestehen soll. Wäre nicht schon viel erreicht, wenn im Gespräch dem Menschen deutlicher  wird, dass sämtliche extremistische Weltdeutungen zu kurz greifen, weil tatsächlich nichts Endliches in der Lage ist, „den bodenlosen Abgrund seines Herzens auszufüllen“? Die Frage nach der ‚Bedingung der Möglichkeit‘ solcher Art menschlichen Seins könnte zumindest die Richtung anzeigen, wo denn eine befriedigende Antwort zu suchen wäre. 


  1. Wilhelm Weischedel „Die philosophische Hintertreppe“, dtv München 1963/ 1973, S. 223 ↩︎
  2. Ebenda, 229 ↩︎
Bild von RGY23 auf Pixabay

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