Wochenimpuls Juli 2025-4
Die Gottessehnsucht – Teil 1
„Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
dass allezeit mich deine Stimme wieder riefe.
Darauf erglüht tief eingeschrieben
das Wort: dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
sein bin ich- und ich fühl‘ die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn
und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.
Ich will dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfassbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.“ 1
Kampf mit und Kampf um Gott – Teil 2
Mir ist der Pastorensohn aus Röcken sehr sympathisch. Nicht nur, weil ich glaube, dass er vielfach verkannt wird als d e r Gottesleugner schlechthin 2 und weil am Ende seines so dramatischen Lebens eine zehnjährige geistige Umnachtung stand. Man kann ihm vielleicht nur gerecht werden, wenn man Reinhold Schneider ernst nimmt, der schon vor 90 Jahren in „Schicksal und Landschaft“ 3 schrieb:
„Alle, die auf Erden mit dem Einsatz ihrer ganzen Seele streiten, streiten für Gott.“
Und Hans Urs von Balthasar verdanke ich die tiefe, einfühlsame Wertung Nietzsches:
„Denn alle psychologischen, kulturellen und ethischen Untersuchungen Nietzsches sind nur der Vordergrund, des steten, in leidenschaftlicher Hassliebe ausgefochtenen Kampfes um das letzte Geheimnis des Seins, um das Absolute, um Gott. In diesem Kampfe aber wird unabweisbar deutlich, dass Nietzsche nicht der einsame Kämpfer ist, für den er sich ausgibt, sondern dass da ein unsichtbarer Gegenspieler steht, der in Atem, außer Atem hält…“ 4
Mir scheint, dass sich oft hinter vielem autoritären Gehabe in weltpolitischen Angelegenheiten und im zwischenmenschlichen Miteinander eine große Unsicherheit verbirgt: Wer bin ich? Die Identitätsnot, die heute unsere Zeit in nicht geringem Maße kennzeichnet und die sich äußert in oft unreflektierter Anspruchshaltung, in brutaler Ignoranz offensichtlicher Ungerechtigkeit und Unwahrheit, hat eine Tiefenschicht. Es lohnt sich deshalb, tiefer zu bohren, weil ich glaube, dass die Frage nach dem Tun des Menschen erst hinreichend beantwortet werden kann, wenn die Frage nach dem Sein des Menschen eine Antwort erfährt, die dem Sein des Menschen wirklich gerecht zu werden vermag.
- „Jeder Tag ein neuer Anfang“ (22.Januar), Herausgegeben von Alfred-Müller-Felsenburg, Augsburg – München 2003 ↩︎
- Kritisch zu diesem (Vor)urteil siehe „Eugen Biser“ „Gottsucher oder Antichrist?“, Salzburg 1982 ↩︎
- Reinhold Schneider „Schicksal und Landschaft“, Freiburg-Basel-Wien 1960, S. 300 ↩︎
- Friedrich Nietzsche „Anthologien“, Einsiedeln-Freiburg 2000, Auswahl Hans Werner, Nachworte Hans Urs von Balthasar, Neuausgabe und Vorwort von Alois M. Haas ↩︎
Bild von Thomas Hoffmann, privat